Der Fenstergucker
Lesedauer: 3 Minuten
Bernhard Engel – ein einzigartiger Geschichtenerzähler
Für die Menschen in Dörlinbach ist er ein vertrauter Anblick: Bernhard Engel, Jahrgang 1951, der in seiner charakteristischen Art am Fenster von „s’ Moritze Hus“ sitzt und mit jedem Passanten plaudert, der seinen Weg kreuzt. Seine Präsenz an der Weggabelung in der Höhe des Hauses ist nicht nur für Einheimische, sondern auch für Wanderer, die den Weg zum Wassertretbad in der Ruhl oder dem Kapellchen auf dem Kappelberg suchen, ein vertrautes Bild.

Bernhard ist der unangefochtene Fenstergucker von Dörlinbach. Alle, die sich auf einen Schwatz mit ihm einlassen, sollten Geduld mitbringen, denn Bernhard hat immer eine Geschichte parat – mitunter auch mit der ein oder anderen Hinzudichtung. Manchmal dienen seine Erzählungen als lebendige Litfaßsäule des Dorfes: Angefangen von einem entlaufenen Rind, das die Straßen des Ortes unsicher machte, bis hin zu seinen ganz persönlichen Abenteuern als Kind beim Schlittenfahren auf dem Hofweg, die er sicherlich auch in diesem Winter wieder gern erzählt hätte.
Doch statt den gewohnt unterhaltsamen Berichten aus seinem Leben lauschen zu können, müssen die Dörlinbacherinnen und Dörlinbach als auch die am Haus vorbeikommenden Wanderer und Feriengäste vorerst auf Bernhard verzichten. Denn Bernhard Engel musste erst einmal sein geliebtes Zuhause, das älteste existierende Haus in Dörlinbach, gegen ein Seniorenheim eintauschen. Ungewiss bleibt, ob und wann er zurückkehrt. Viele in der Dorfgemeinschaft äußern derweil den Wunsch nach seiner baldigen Heimkehr. Sie wünschen sich, dass ihr Fenstergucker seine teils legendären Geschichten als auch den Dorftratsch wieder zum Besten gibt. Ein Herzenswunsch wird jedoch für ihn unerfüllbar bleiben: Das Versprechen, nie von hier fortzugehen. Gerne wollte er im Keller seines Hauses beerdigt werden, sagte er immer und immer wieder – ein eindrucksvolles Zeichen seiner tiefen Verbundenheit mit seiner Heimat.
Bernhard Engel ist sicherlich mehr als nur ein Fenstergucker – er ist ein Teil der dörflichen Identität Dörlinbachs. Sein Platz am Fenster ist ein Ort der Erinnerungen, Geschichten und des Austauschs. So ist es auch nicht verwunderlich, dass einige Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner inständig auf seine Rückkehr hoffen, damit sie erneut in den Genuss seiner lebhaften Erzählungen kommen. Es ist übrigens derzeit kaum jemand bekannt im Ort, wo genau Bernhard untergebracht ist.
Die Geschichte von „s' Moritze Hus“
Sein Zuhause, das seit einigen Jahrzehnten als „s' Moritze Hus“ bekannt ist, birgt übrigens interessante historische Hintergründe. Mit seiner Errichtung im Jahr 1734 durch Johannes Neininger (1697 bis 1767), war das Haus einst ein Zentrum des Schneiderhandwerks. Die Familiengeschichte der Neiningers ist geprägt von schicksalhaften Wendungen, wie der Auswanderung von Franz Joseph Neininger, Jahrgang 1812, der mit seiner Familie im August 1841 in einer schrecklichen Schiffskatastrophe auf dem Eriesee ums Leben kam. Mehr zu dieser Tragödie unter Blog-Beitrag „Schicksale fern der alten Heimat“ vom 10. August 2021. Mit der Auswanderung endete zugleich auch die Ära Neininger in dem kleinbürgerlichen Handwerkerhaus. Fortan waren die Familiennamen Schüssele, Striegel und Engel präsent. Der heutige Name des Hauses ist auf Bernhards Vater Moritz Engel (1909 bis 1971) zurückzuführen. Der aus Biberach-Prinzbach stammende Landwirt war mit Maria Anna, eine geborene Schüssele (1917 bis 2007) verheiratet. Maria Anna war die jüngste Tochter von Josef Schüssele (1865 bis 1918) und dessen Ehefrau Luise, eine geborene Striegel (1876 bis 1950).
Veröffentlicht am 16. Dezember 2023 / red
Visuelle Impressionen zur Geschichte:
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