Am Ende des Tales wollte Hansjakob zu Fuß über den Berg wandern. Der Lahrer Kutscher schlug ihm vor über den Durenbach auf den Geisberg und danach über die Breitebene nach Hofstetten zu marschieren. Ein Weg, den Heinrich Hansjakob noch nicht kannte. Der Kutscher versicherte ihm aber, dass es für ihn durch den Durenbach wesentlich kürzer wäre. Er befolgte den Rat, der Kutscher fuhr ihn letztlich bis zum Eingang zum Durenbach an der Vizinalstraße im heutigen Höfen. Beim zweiten Hof angekommen traf Hansjakob auf eine Bäuerin, die gerade Kartoffeln im Brunnentrog wusch. Von ihr erhoffte er sich, dass sie ihm den weiteren Weg zum Geisberg weisen könnte. Doch die Bäuerin kannte nach den Aufzeichnungen Hansjakobs nur den Kirchweg nach Schweighausen und den Marktweg in die Stadt nach Lahr. Ihr Bruder der Engel (Kurzform für Engelbert) könnte ihm aber sicherlich den richtigen Weg zeigen. Dieser würde aber im obersten Hof wohnen.
Auskunft beim Engel vom Durenbach?!
Nach einer knappen halben Stunde erreichte Hansjakob besagten Hof. Ein Mann kam aus der Scheune auf ihn zu und Hansjakob war sich sicher, dass dies nun der „Engel vom Durenbach“ ist. Der Mann habe sich riesig gefreut, dass er seinen Namen schon wisse, beschreibt Hansjakob das aufeinander Zugehen. Und der vermeintliche Engel wollte natürlich seinerseits wissen, wer ihn so freundlich ansprach. Als Heinrich Hansjakob sich zu erkennen gab, war die Freude bei dem Bauer noch größer, denn der Name Hansjakob war im oberen Durenbach durchaus bekannt. Nachdem er sich mit seinem Hut vor Hansjakob zum freundlich Gruß verneigte, teilte er diesem mit, dass er ihm dem Hansjakob stundenlang nachgelaufen wäre, um ihn einmal zu treffen. Und jetzt stehe er plötzlich und unverhofft vor ihm auf seinem Hof. Natürlich war nun seinerseits Hansjakob überrascht über die Riesenfreude des Bauers und hackte nach, warum denn seine Freude so groß sei. Der Bauer entgegnete ihm, dass er schon einmal im Gefängnis gesessen habe. Und er, Hansjakob, doch auch. Seit er sein Gefängnisbuch („Im Gefängnis“ / erschienen 1873) gelesen habe, hatte er den Wunsch, einmal auf Hansjakob zu treffen, verriet ihm der nunmehr euphorische Bauer. In seinem Buch „Dürre Blätter“ beschreibt Hansjakob diesen Moment wie folgt: „Ich aber dachte, wenn die badische Justiz selbst den Engel im Durenbach nicht verschont hat, – so kann ich's ihr nit verübeln. Wenn sie mich schwarzen Unhold zweimal gefangen setzte“. Zweimal musste nämlich Heinrich Hansjakob wegen seiner unerschrockenen Kritik an der badischen Regierung für ein paar Wochen ins Gefängnis. Der Bauer rief freudestrahlend nach seiner Frau und seinen zwölf Kindern, damit sie alle einmal Hansjakob anschauen können. Natürlich wurden alle dem verehrten Hansjakob vorgestellt und auch dem vermeintlichen Bruder des Bauern, mit dem dieser sich den Hof teilte. Auch er hatte eine kinderreiche Familie, zu dem Zeitpunkt des Zusammentreffens waren es fünf. Hansjakob staunte über das friedliche Zusammenleben jener „Engelmenschen“ unter einem Dach, wie er sie bezeichnete. Letztendlich gab man sich beidseitig das Versprechen auf ein baldiges Wiedersehen.
Missverständnis bei Niederschrift
Als der Volksschriftsteller Heinrich Hansjakob dieses Erlebnis im Durenbach niederschrieb ist ihm allerdings ein Missverständnis unterlaufen. Er war zwar zunächst auf dem Engelhof, aber das für alle Beteiligten freudige Erlebnis hatte sich auf dem Rothweilerhof zugetragen. Hansjakob hatte auf dem Engelhof nach dem Weg gefragt. Die Frau am Brunnen verwies ihn jedoch nicht an ihren Bruder Engel, sondern an ihren Schwager Mathias Rothweiler (1827 bis 1893), der mit Rosalia, eine geborene Singler (1828 bis 1895) vom Engelhof, verheiratet war. Und dieser Mathias Rothweiler lebte auf dem erwähnten oberen Hof – dem Rothweilerhof. Das von dem Volksschriftsteller beschriebene Erlebnis fand also mit der Familie Rothweiler und der Miteigentümer-Familie Hummel auf dem sogenannten Rothweilerhof statt – jenem Doppelhof, der im Jahre 1990 nach einer über 350-jährigen Hofgeschichte ein Raub der Flammen wurde.
Hansjakob hatte sich also nicht mit dem „Engel“ (Engelbert), dem „Engelbur“ (Engelbauer) und dessen „Mitengel“ (Matthias Hummel) unterhalten. Jener Matthias Hummel (1849 bis 1892) war übrigens mit der gebürtigen Theresia Griesbaum (1857 bis 1931) verheiratet. Aber durch dieses Missverständnis des Kinzigtäler Heimatdichters wurde der Begriff „Engelmenschen“ geboren, der sich interessanterweise später in anderen Aufzeichnungen auch auf die Bewohnerinnen und Bewohner des tatsächlichen Engelhofs bezieht.
Den hab' ich noch persönlich gekannt
Abschließend wollen wir anmerken, dass es wohl nicht bei diesem ersten Treffen geblieben ist. Ein baldiges Wiedersehen soll es also tatsächlich gegeben haben. Es ist überliefert, dass der Pfarrer und Volksschriftsteller mindestens noch zwei weitere Male im Durenbach gewesen sein soll. Er habe bei seinen späteren Besuchen Pferd und Chaise (zweisitzige Kutsche) meistens in Dörlinbach stehen lassen und sich ein Pferd bei einem Bauer ausgeliehen, um in den Durenbach zu reiten, erzählte unter anderem das bekannte Dörlinbacher Dorforiginal Hermann Fischer (1886 bis 1983) zeitlebens. Obwohl Fischer noch ein kleiner Bub war als Hansjakob erstmals den Durenbach bereiste, schwor er darauf, den Volksschriftsteller persönlich gekannt zu haben. „Den hab' ich noch persönlich gekannt“, versicherte er unter anderem in einem Gespräch mit dem Heimathistoriker und Mitarbeiter der Lahrer Zeitung Emil Ell im August 1975 anlässlich der kurz bevorstehenden 750-Jahr-Feierlichkeiten in Dörlinbach.
Veröffentlicht am 23. Juli 2022 / red
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