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Derlebacher G’schichtle Folge 42

Lesedauer: 3 Minuten

Wenn der Hahn von der Kirchturmspitze herunterkommt

In der ländlichen Kulisse Dörlinbachs, wo die Zeit manchmal stillzustehen scheint und die Traditionen fest verwurzelt sind, schmiedete einst Wilhelm Fischer seine unvergesslichen Geschichten. Der talentierte dichterische Handwerksmeister, geboren im Jahr 1912 und voller Tatendrang bis zu seinem Ableben 1981, verewigte in seinen Erzählungen nicht nur Anekdoten seines Heimatdorfes, sondern auch die Charaktere und Eigenheiten seiner Mitmenschen.
Derlebacher Gschichtle Folge 42
Fischer, der nach Seelbach zog, hinterließ auch in seiner neuen Heimat einen bleibenden Eindruck. Im Jahre 1955 gab er dem dortigen Volksfest, dem Katharinenmarkt mit einem historischen Schauspiel eine ganz besondere Note. Sein Werk – das Freilichtschauspiel zur Verleihung des Marktrechts – überdauert nicht nur Fischers Zeit. Alljährlich wird es heute noch zur Eröffnung zum Katharinenmarkts aufgeführt.
Derlebacher Gschichtle Folge 42
Außenwandgemälde in der Brandhalde (Anwesen Kaspar). Hans Buschs Erstlingswerk an Dörlinbachs Hauswänden, das er im August 1975 fertigstellte.
Derlebacher Gschichtle Folge 42
In unserem heutigen G'schichtle wollen wir allerdings auf eine Begebenheit zur Osterzeit in seiner alten Heimat blicken. Besonders die Sitten und Bräuche in „Dörlebach“, wie er seinen Geburtsort nannte, haben es ihm angetan, und so wollen wir heute einer amüsanten Episode aus seinen Erinnerungen nachspüren. Fischer erinnerte sich lebhaft daran, wie man im Dorf einem Ortsfremden um die Osterzeit gern einen kleinen Streich spielte. „Der Hahn von der Kirchturmspitze“, so die Legende, sollte jedes Jahr am Karfreitagmittag, genau wenn die Uhr zwölf schlägt, auf den Boden hinabsteigen, um am Dorfbrunnen frisches Wasser zu trinken. Doch aufgepasst! An diesem besonderen Tag läuten die Glocken nicht, denn die klangvollen Töne wurden durch die „Rätsche“ ersetzt, eine Art Holzgerät, das die Betzeiten anzeigt. Ein Scherz, der sicherlich die Gesichtszüge des Fremden erhellte und für einige schmunzelnde Gesichter unter den Einheimischen sorgte.
Ein Sammelpunkt für Durstige
Fragt man sich nun, ob es tatsächlich einen Hahn auf der Kirchturmspitze gegeben hat oder wo der besagte Dorfbrunnen zu finden war, so muss hier die Aufklärung folgen. Der besagte „Akzisers-Brunnen“, war einst ein Sammelpunkt für die Durstigen und befand sich beim Anwesen des Landolin Griesbaum, einem Original aus dem 18. Jahrhundert. Die Leute nannten diesen Ort liebevoll „s' Akzisers“, bevor er heute in der Erinnerung der älteren Generationen verloren ging – genau wie der Hahn auf der Kirchturmspitze. So mag es scheinen, als ob Fischer nicht nur ein begnadeter Geschichtenerzähler war, sondern auch ein Meister des Humors. Seine Erzählungen sind nicht nur nostalgische Rückblicke, sie sind lebendige Erinnerungen, die uns anregen, über die kleinen Dinge im Leben nachzudenken – über den Glauben, die Sitten und Bräuche, die unsere Gemeinschaften zusammenhalten.
Der Geist von Wilhelm Fischer
Viel Spaß beim nächsten Spaziergang durch Dörlinbach! Vielleicht entdeckt ihr ja das ein oder andere Relikt vergangener Zeiten oder hört das Lachen der Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner, die noch immer vom Hahn erzählen, der einmal im Jahr zur Feier des Karfreitags sein Wasser am Brunnen holt. Und während ihr euch in diese charmanten Geschichten vertieft, denkt daran: Auch wenn in unserem Dorf kein Hahn auf der Kirchturmspitze sitzt, bleibt der Geist von Wilhelm Fischer lebendig in unseren Herzen.

Anmerkung

Zur Person Landolin Griesbaum (1764 bis 1820) lohnt es sich auch einmal einen Blick in den Blog-Beitrag „Der Schulzenhansenhof“ vom 10. Juni 2023 zu werfen. Denn „s‘ Akzizers“ war einst ein Teil des legendären Schulzenhansenhof, der heute nicht mehr im Dorf, sondern auf einer Anhöhe unterhalb der Kapelle steht (Hof) und inzwischen als Mattesenhof durchaus besser bekannt ist.

Veröffentlicht am 20. April 2024 / red

Visuelle Impressionen zur Geschichte:

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