Ein Blick in die Vergangenheit moralischer Werte
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Volksgerichtsbarkeit mit einem besonderen Ritus
In einer Zeit, in der gesellschaftliche Normen und Sitten von großer Bedeutung waren, spielten Ruggerichte eine zentrale Rolle in der Vermittlung von Moral und Anstand. Die Wurzel dieser Tradition liegt im altbekannten Brauch des „ruegen“, bei dem Kontrahenten vor dem Pfarrer zusammentrafen, um sich gegenseitig ihrer Sünden zu bezichtigen. Doch anstatt zur Reinigung der Seelen führte dieses Ritual oft zu mehr Streit und Uneinigkeit – so entstanden die Ruggerichte, die nicht nur einfache Versammlungen waren.
Sie waren mythisch inszenierte Veranstaltungen, die einen eigenen Verfahrensritus entwickelten und oft eine spezielle Sprache verwendeten. Hierbei wurde die Schuld des Angeklagten nicht durch Bestrafungen, sondern durch den öffentlichen Druck der Gemeinschaft thematisiert. Ziel war es, dass der oder die Betroffene aus Scham über das Gelächter der Anwesenden sein angeprangertes Verhalten ablegte – ein Mechanismus, der stark auf die sozialen Bindungen und die dazugehörigen Ängste der damaligen Zeit setzte.
Im kleinen Ort Dörlinbach wurden solche Ruggerichte ebenfalls abgehalten. Ein besonders bemerkenswerter Fall stammt aus dem Jahr 1845, als der Amtsvorstand des Großherzoglichen Bezirkamts Ettenheim ein Ruggericht durchführte. In diesem Protokoll, das später im Dörlinbacher Heimatbuch von 1995 festgehalten wurde, finden sich zahlreiche interessante Punkte, die den moralischen Zeigefinger der damaligen Zeit deutlich machen. Unter Punkt zwei wird beispielsweise den Viehbesitzern auferlegt, ihr Vieh nur unter Aufsicht auf die Liegenschaften auszutreiben – ein klarer Hinweis auf die Verantwortung in der Landwirtschaft. Wenige Absätze weiter erfährt man, dass die Versteigerung von Liegenschaften im Gemeindehaus stattzufinden hat und nicht in den Wirtshäusern. Diese Regelung soll wohl sicherstellen, dass die moralische Reinheit des Dorfes gewahrt bleibt.
Moralische Kontrolle im Alltag
Die nächsten Punkte des Protokolls sind durchzogen von der Forderung nach moralischem Verhalten aller Gemeindeangehörigen. So wird zum Beispiel gefordert, dass die „Weibspersonen“ streng überwacht werden müssen. Verdächtige Lebenswandel sollten sogleich gemeldet werden, um der Gemeinde eine finanzielle Last durch uneheliche Kinder zu ersparen – ein deutlicher Verweis auf die gesellschaftlichen Vorstellungen von Anstand und Ordnung. Selbst der Bürgermeister blieb von diesen moralischen Erwartungen nicht verschont. Von ihm wurde erwartet, dass er bei Hochzeiten oder anderen feierlichen Anlässen Maß halten und stets nüchtern agieren sollte. Dies zeigt, wie sehr die gesellschaftliche Kontrolle schon auf höchsten Ebenen etabliert war.
Ein Appell an die Tugend
Das Protokoll schließt mit einem eindringlichen Appell an alle Gemeindevertreter. Sie sollten nicht nur in ihren Handlungen mit gutem Beispiel vorangehen, sondern auch die moralischen Grundwerte der Gemeinschaft stets stärken. Von der Überwachung der Einhaltung von Sonn- und Feiertagen bis hin zum vehementen Kampf gegen Trunksucht und Wucherei – die Liste der moralischen Imperative ist lang und zeugt von einem tief verwurzelten Pflichtbewusstsein. Insgesamt gibt das Protokoll des Ruggerichts einen faszinierenden Einblick in die gesellschaftlichen Normen und Werte vergangener Zeiten. Es wird deutlich, dass die Kontrolle des individuellen Verhaltens durch die Gemeinschaft eine zentrale Rolle spielte und dass die moralische Integrität für das soziale Zusammenleben von höchster Wichtigkeit war – ein Thema, das auch in der heutigen Zeit seine Relevanz nicht verloren hat.
Veröffentlicht am 30. April 2024 / red
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