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Eine spannungsgeladene Schulgeschichte

Lesedauer: 3 Minuten

Landesweite Aufmerksamkeit durch einen Schulstreik

Wann und wo in Dörlinbach erstmals eine Schule eingerichtet wurde, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit feststellen, heißt es im Dörlinbacher Heimatbuch zur Schulgeschichte. Vermutlich wurden die Kinder der beiden Klosterdörfer Dörlinbach und Schweighausen erst nach dem Dreißigjährigen Krieg im Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet. Gewisse Hinweise auf den Standort und den Zustand der früheren Schulgebäude würden diese Vermutung nahelegen. Zeitlich liegen wir da in der Mitte des 17. Jahrhunderts.

Im März 1960 zogen noch immer sogenannte Leichenzüge durch Dörlinbachs Straßen.
Im 19. Jahrhundert waren die Schulverhältnisse ähnlich wie auch im Nachbarort Schweighausen unzumutbar und verbesserungswürdig. Dies lässt sich aus einem Bericht des Landesbaumeisters Ludwig Reif von der Bezirksdirektion Offenburg an das Bezirksamt Ettenheim vom 24. Mai 1833 entnehmen. Darin heißt es, dass das Schulhaus von ganz alter Bauart sei, die Sargen (Außenwände) aus Blockwänden bestehen würden und die Küche in dem Haus einer Rauchküche sei.
Hauptlehrer Alfery seiner Schulklasse am Eingang zur Volksschule (Jahrgang 1926).
Das neue Schulgebäude im Oberdorf schaffte es gleich auf eine Post- und Ansichtskarte Mitte der 1960er-Jahre
Durch den letztgenannten Umstand würde sich der Rauch in dem ganzen Haus verbreiten und das Holz mit Ruß überziehen. Weiter soll auch das Holz vom Wurmfraß befallen gewesen sein. Weiter schreibt Reif, dass der ganze ebenerdige Stock auch in der trockenen Jahreszeit nass sei und durch das Austreten der Schutter gar oft unter Wasser gesetzt werde. Weiterhin habe das Schulzimmer kaum die Größe einer gewöhnlichen Wohnstube, klagt der Landesbaumeister. Zudem müsse diese Wohnstube auch dem Lehrer und seiner Familie als Wohnzimmer dienen. So urteilt Reif abschließend: „Der ganze Innenbau ist schlecht, und dieses Haus verdient weder eine Reparation, noch können die Materialien beim Abbruch zu irgendeiner Wiederverwendung angeschlagen werden.“ Reif sprach sich also klar für den Bau eines neuen Schulhauses aus. Er lehnte jedoch den Standort des bisherigen Schulgebäudes als zukünftigen Bauplatz ab.

Neuer Bauplatz fernab der Schutter

Reif schlug einen Bauplatz fernab der Schutter vor, doch der Dörlinbacher Gemeinderat entschied anders. Stattdessen wurde das Fundament angefüllt, um so weiteren Hochwasser vorzubeugen, und ein neues Schul- und Rathaus gebaut. Dessen Bauvergabe erfolgte im Juni 1835. Die rund 100 bis 120 Schulkinder wurden während des Schulhausneubaus, der bis ins Jahr 1837 dauerte, in einer „finsteren Stube“ des ganz von Holz erbauten Wirtshaus „Zum Löwen“ unterrichtet, heißt es in Aufzeichnungen aus der damaligen Zeit. In derselben „finsteren Stube“ wohnte und schlief übrigens auch der damalige Lehrer Josef Ochsenreuter (Lebensdaten nicht bekannt). Das neu erbaute Schul- und Rathaus der Gemeinde Dörlinbach diente letztlich bis zum Jahre 1905 als Volksschule. Bereits im Jahr zuvor wurde damit begonnen ein neues Schulhaus zu bauen. Der Bau der heutigen „Alten Schule“ war wohl der Initiative von Markus Alfery (Lebensdaten nicht bekannt) zu verdanken, der im Juni 1892 als Schulverwalter nach Dörlinbach versetzt wurde. Bezüglich des Familiennamens gibt es übrigens zwei Schreibweisen: Alfery und Allferi. Entgegen der bisherigen Schule hatte das damals neue Schulhaus nun zwei Klassenzimmer und sogar einen Turnplatz. Nach Fertigstellung der Schule wurde der Dörlinbacher Volksschule im Mai 1905 mit dem Unterlehrer Franz Fauler (Lebensdaten nicht bekannt) ein zweiter Lehrer zugewiesen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Hauptlehrer Alfery bereits neun Kinder mit Ehefrau Agnes, eine geborene Nopper deren Lebensdaten ebenfalls nicht bekannt sind. Insgesamt hatten die Alferys von 1892 bis 1913 sechs Buben und sechs Mädchen – eine halbe Schulklasse, wenn man so will. Zurück zu den Schulverhältnissen in Dörlinbach, die mittlerweile ebenso gut wie in vergleichbaren Landgemeinden im Schulamtsbereich Ettenheim geworden waren. Eines änderte sich allerdings auch mit dem neuen Schulhaus nicht, der relativ häufige Lehrerwechsel.

Neue Schule am 11. April 1964 eingeweiht

Mit zu den längsten im Ort arbeitenden Lehrer gehörte auch Max Isele (1930 bis 2009). In dessen Zeit als Schulleiter von 1960 bis 1972 fielen zwei prägende Ereignisse der Dörlinbacher Schulgeschichte. Das erste wichtige Ereignis war der Neubau einer Schule. Denn die Volksschule an der Hauptstraße hatte nur zwei Klassenzimmer. Durch geburtenstarke Jahrgänge musste sogar im Jahre 1961 eine Klasse ins Rathaus umziehen. Isele fand offene Ohren für die Problematik bei der Gemeinde. Und dieses Mal wurde wirklich ein Standort fern ab der Schutter gewählt, höher gelegen mit guter Aussicht auf das Dorf, wie es einst auch schon Landesbaumeister Reif vorgeschlagen hatte. Am 12. September 1962 konnte schließlich der Grundstein für das neue Schulgebäude im Oberdorf gelegt werden. Dem damaligen Bürgermeister Josef Billharz (1911 bis 2004) und Gemeinderat Wilhelm Edte (1929 bis 1987) oblag es die Zinkkapsel mit Urkunde und Münzen zu verschließen und in den Grundstein einzulassen. Am 11. April 1964 erfolgte die Einweihung der neuen Volksschule, fortan eine Grund- und Hauptschule. Der damalige Oberschulrat Häfner sagte bei der Einweihungsfeier: „Diese Schule ist eine besonders gelungene Perle in der Kette der neuen Schulhäuser. In ihr ist alles verwirklicht, was man derzeit tun kann.“ Und so war seinerzeit natürlich das ganze Dorf mächtig stolz auf das gelungene Werk. Stolz auch deshalb, weil die Dörlinbacher Schule im besagten Jahr 1964 als eine der ersten Landschulen in Baden-Württemberg auch einen Aufbauzug in Englisch einführen und den Neuntklässlern sogar Kochunterricht erteilen konnte. Einziger Wermutstropfen: Der Wunsch mit dem Schulneubau auch gleich eine Turn- und Festhalle zu errichten, konnte nicht gleich mitverwirklicht werden. So mussten sich die Dörlinbacher Bürgerinnen und Bürger erst einmal mit dem Gymnastikraum in der Neuen Schule, wie die Grundschule heute noch oft im Analog zur Alten Schule genannt wird, zufrieden geben.

Der Schulstreik und seine Folgen

Das zweite prägende Ereignis in Iseles Zeit als Schulleiter von Dörlinbach sorgte landesweit für Aufsehen. Auslöser war die im Jahre 1965 geplante Schulreform in Baden-Württemberg. Im Februar 1966 wurde in einem Elternbrief des Kultusministeriums um Zustimmung und Mitwirkung der Eltern geworben – auch bei möglichen harten Entscheidungen. Dies hatte zur Folge, dass es landauf, landab zu Debatten und Diskussionen kam, die vor allem aber in Dörlinbach nicht verstummen wollten. Vielmehr noch: In Dörlinbach kam es sogar zu einem Schulstreik. Auslöser war die Weigerung Schweighausens und Schuttertals ihre Schülerinnen und Schüler nach Dörlinbach zu schicken. Nach einem vorgelegten Plan des Kultusministeriums sollten alle Neuntklässler aus Schweighausen und Schuttertal nach Dörlinbach und im Gegenzug die Dörlinbacher Fünft-, Sechst- und Siebtklässler nach Schuttertal. Schweighausen hatte sofort abgelehnt, Schuttertal hingegen stimmte wie Dörlinbach zunächst einem Kompromiss zu. Doch schon kurz darauf lehnte der Gemeinderat von Schuttertal die Austauschlösung mit Dörlinbach mit knapper Mehrheit ab. Am gleichen Abend wurde jedoch mit klarer Mehrheit bei einer Bürgerversammlung in Schuttertal die Vereinbarung mit Dörlinbach angenommen. Doch zwei Tage vor Beginn des Kurzschuljahres 1966 / 1967 schickte das Staatliche Schulamt einen abgeänderten Plan, wonach Schweighausen ausgeklammert werde. Daraufhin verlangten die Dörlinbacher Eltern einen neuen Austauschschlüssel mit Schuttertal. Das Oberschulamt lehnt jedoch ab. Was der Minister festgelegt habe, sei verbindlich, heißt es dazu aus dem Oberschulamt in Freiburg. Womit jedoch wohl weder Schulamt noch das Ministerium gerechnet hatten, Dörlinbach beharrt auf seine Forderung nach einer Neuregelung. Der Aufforderung des Staatlichen Schulamts, die Schüler des achten und neunten Schuljahres nach Schuttertal zu schicken, wollten die Eltern nicht nachkommen. Ein Schulstreik wurde beschlossen. Dörlinbach rückte in den Fokus landesweiter Medien. Und der Südwestfunk berichtete vor Ort über die Vorkommnisse. Schuttertal, Dörlinbach und Schweighausen hätten sich völlig zerstritten, hieß es unter anderem.

Der Südwestfunk mitten drin

Eine kuriose Situation entwickelte sich an der Dörlinbacher Schule und der Südwestfunk mitten drin. Die Dörlinbacher Kinder gingen nicht nach Schuttertal, sondern in ihre Schule in Begleitung ihrer Eltern. Aufgrund des geänderten Plans des Kultusministerium, musste Schulleiter Isele die Schülerinnen und Schüler weisungsgemäß entlassen. Doch tags darauf kamen die Kinder mit ihren Eltern wieder in ihre alte Schule. Isle konnte sie jedoch nicht unterrichten, da ja offiziell der Klassenlehrer jetzt in Schuttertal war. Zugleich hatte das Stattliche Schulamt gedroht, dass er mit einer Disziplinarstrafe rechen müsse, falls er mit den Dingen an die Öffentlichkeit gehe. Isele tat es trotzdem. Das Kultusministerium versuchte derweil die Wogen zu glätten, versicherte den Dörlinbachern, dass die Anordnungen erst einmal nur für das Kurzschuljahr gelten würden. Doch die Eltern der betroffenen Dörlinbacher Kindern beeindruckte das nicht. Und so verkündete der Sprecher der Abendschau im Südwestfernsehen: „Trotz der Ausführungen des Kultusministers: Der Schulstreik geht weiter. Nach den neuesten Informationen hat sich die Gemeinde Dörlinbach einen Rechtsanwalt besorgt.“ Nach dieser Abendschau verging kaum ein Tag ohne neue Meldungen zum Schulstreik in Dörlinbach. Die betroffenen Schülerinnen und Schüler besuchten weiter regelmäßig ihre alte angestammte Schule in Dörlinbach, wo sie nicht von den Lehrkräften, sondern von engagierten Müttern, Vätern und weiteren Bürgerinnen und Bürgern betreut wurden. Der Bürgermeister Josef Billharz erteilte höchstpersönlich den Gemeinschaftsunterricht. Weiter übernahm Dörlinbachs Waldhüter, der Forstwart Wilhelm Göppert (1935 bis 2017) eine Exkursion durch „seinen“ Wald und Dorfpfarrer Franz Wölfle (1905 bis 1987) hielt Bet- und Religionsstunden ab. Handarbeitsunterricht übernahmen die Mütter, ebenso das Kochen und Backen in der Schulküche. Dieses Engagement der Dörlinbacher Bürgerinnen und Bürger lässt das Land aufhorchen, während das Schulamt dazu schweigt und das Oberschulamt sogar „Gewalt androht“, wie es in einem Artikel der Lahrer Zeitung vom 22. Februar 1967 heißt. Ein zuvor unternommener Vermittlungsversuch des damaligen Landrats scheiterte kläglich. Unter Protesten und Pfiffen musste er eine Elternversammlung im Gasthaus „Zum Engel“ verlassen.

Fragwürdige Entscheidungen

Trotz dem Einsatz eines ganzen Ortes für seine Schulkinder und den fragwürdigen Entscheidungen verschiedener Ämter siegte am Ende die „Obrigkeit“ – zunächst einmal. Die Anfechtungsklage der Eltern wurde vom Verwaltungsgericht im Februar des gleichen Jahres zurückgewiesen. Die Folge: Die Klassen acht und neun besuchen ab dem 27. Februar 1967 die Schule in Schuttertal. Gleichzeitig wurde den Dörlinbachern versichert, dass ab dem 1. September des gleichen Jahres die fünften und sechsten Klassen in Schuttertal, die siebten, achten und neunten aber in Dörlinbach unterrichtet werden. Dennoch: Das Vertrauen der Dörlinbacher in Versprechen und Zusagen von Behörden war dahin. So war es auch nicht verwunderlich, dass sie beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim Klage gegen das Freiburger Urteil einlegten. Diesmal wird ihren Argumenten Recht gegeben. Der Verwaltungsgerichtshof bestätigte, dass das Verwaltungsgericht Freiburg zu Unrecht den Dörlinbacher Antrag abgelehnt hatte. Die Schülerinnen und Schüler kehrten an ihre alte Schule nach Dörlinbach zurück. Manch einer hatte damals jedoch den Eindruck, dass das Schulamt „passiven Widerstand“ gegen diese Tatsache leistet. Gefördert durch die Tatsache, dass der Lehrer der Klasse in Schuttertal bleiben musste. Dazu wurde der Rechtsanwalt Dold in der Lahrer Zeitung vom 27. Juli 1967 zitiert: „Nicht Lehrermangel, sondern Mangel an gutem Willen liege vor. Dies sei eine Missachtung des Spruches eines unabhängigen deutschen Gerichts. Die Machtstellung der Schulbehörde würde ausgenützt.“ Über die Lehrerzuweisung beschwerte sich im Februar 1970 auch der Elternbeirat beim Staatlichen Schulamt. Drauf gab es allerdings keine Reaktion. Letztendlich kam dann im Herbst 1970 Beruhigung in die Auseinandersetzung, da ab diesem Zeitpunkt alle Hauptschüler der Obertal-Gemeinden nach Seelbach in die Schule mussten. Angemerkt sei hierzu noch eine Begebenheit, die sich im Nachhinein an der Seelbacher Schule zugetragen hatte. Offensichtlich hatten dort zwei Lehrer eine negative Einstellung gegen jene Dörlinbacher Schulkinder, deren Eltern mit die treibenden Kräfte in Sachen Schulstreik waren. Die zwei Schülerinnen und ein Schüler bekamen schlechte Noten und blieben gleich im ersten Jahr an der Realschule sitzen. Da die Eltern sich sicher waren, dass ich Kinder nicht so schlecht sein können und offensichtlich von den besagten Lehrern gegängelt wurden, baten sie die damalige Schulrätin um Hilfe. Die Schulrätin nahm sich der Angelegenheit an, prüfte die jungen Leute, die dann auf deren Weisung in die nächste Klasse versetzt werden mussten. Das gleich Spiel im nächsten sowie im übernächsten Schuljahr. Die jungen Leute wurden jedes mal auf Weisung der Schulrätin weiterversetzt. Dann schlug Dörlinbachs Schulleiter Max Isele den Eltern vor, ihre Kinder ohne Zurückstufung in die neunte Klasse der Hauptschule aufzunehmen, um ihnen solche negativen Erfahrungen weiter zu ersparen. Die Drei kehrten nach Dörlinbach zurück und erlangten alle einen Hauptschulabschluss mit Bravour – gespickt mit etlichen Einsen.

Veröffentlicht am 15. März 2021 / red

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