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Gasthaus zum Löwen

Lesedauer: 7 Minuten

Von der Bauernstube zum Speiselokal

Die Geschichte der Gasthäuser geht bis in die Antike zurück. Mit einfachen Stuben, in denen Gäste beziehungsweise Reisende bewirtet wurden, hat alles begonnen. In Dörlinbach können wir allerdings nicht so weit zurückblicken, aber es gab schon im 14. Jahrhundert eine Trinkstube aus der das heutige Gasthaus „Zum Engel“ hervorging (dem werden wir uns noch in einem gesonderten Blog-Beitrag widmen) und es gab ein aus Holz erbautes Bauernhaus mit einer Bauernstube, die auch als Wirtschaftsraum genutzt wurde.

Juli 2022: Ansichten vom ehemaligen Gasthaus „Zum Löwen“. Klaus Faißt übernahm im Jahre 2005 als neuer Besitzer das „Löwen“-Areal.
Diese Bauernstube war sozusagen der Vorläufer des späteren Gasthauses „Zum Löwen“. In Kirchenbüchern wird Anton Rösch aus Biederbach erstmals als „Löwen“-Wirt bezeichnet. Datiert ist diese Nennung auf das Jahr 1788. Röschs Geburtsdatum ist nicht bekannt, gestorben ist er 1831. Es gibt allerdings eine Unklarheit: Im Familienteil des Dörlinbacher Heimatbuchs ist Anton Rösch als Weber aufgeführt, der ab 1793 Wirt auf dem „Löwen“ gewesen sein soll.
Hölzerne Hinweistafel Gasthaus „Zum Löwen“ in den 1970er-Jahren: Gasthof Pension Löwen / Zimmer z.T. Dusche / Eigene Schlachtung / Bekannt gute Küche.
Außenwandgemälde in der Brandhalde (Anwesen Kaspar). Hans Buschs Erstlingswerk an Dörlinbachs Hauswänden, das er im August 1975 fertigstellte.
Blick in das Gasthaus „Zum Löwen“ in den 1970er-Jahren (aus Werbeprospekt), dessen Räumlichkeiten Platz für zirka 150 Personen (aus Werbeprospekt).
Und bei genauerem Hinsehen tauchen im Familienteil des Dörlinbacher Heimatbuchs weitere „Löwenwirte“ auf. Sie reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück. Zunächst taucht dort Philipp Kern (Geburtsdatum nicht bekannt, gestorben 1714) auf. Den Angaben zufolge „Löwenwirt aus St. Peter“ und ein „Taglöhner hier“. Da es aber in St. Peter keinen „Löwen“ gibt ist davon auszugehen, dass er zwar aus St. Peter kommt, aber Wirt auf dem Dörlinbacher „Löwen“ war. Unklar ist auch die Herkunft seiner Ehefrau Agatha (Geburtsdatum nicht bekannt, gestorben 1714), eine geborene Wißler. Mit Agatha hatte er drei Kinder. Der älteste Bub Georg (Geburtsdatum nicht bekannt, gestorben 1728) ist im Heimatbuch als „Löwenwirt“ und als „Rechtsbeistand-Advokat“ angegeben. Georg Kern heiratete im Januar 1717 Anna Kornhaas (Geburtsdatum nicht bekannt, gestorben 1746), mit der er eine Tochter mit dem Namen Maria Anna hatte. Sie kann allerdings nicht zum Namenswechsel auf dem „Löwen“ beigetragen haben, denn Maria Anna Kornhaas wurde erst im Jahre 1718 geboren. Und fünf Jahre zuvor verstarb Johann Georg Billharz (1685 bis 1713) der im Familienteil als „Hofbauer und Wirt zum Löwen“ aufgeführt ist. Er ist übrigens das mittlere von fünf Kindern von Martin Billharz (1646 bis 1702) und dessen Ehefrau Anna, eine geborene Ruf (Lebensdaten nicht bekannt).
Zweimal Anna Kornhaas?!
Interessant ist vielmehr, dass laut den Aufzeichnungen im Familienteil des Heimatbuchs jener Billharz wie Kern ebenfalls mit einer Anna Kornhaas (1673 bis 1740) verheiratet war. Deren Lebensdaten sind allerdings komplett angegeben und weisen beim Sterbedatum zu Kerns Anna eine Differenz von rund sechs Jahren auf. Egal wie es letztlich zum Namenswechsel auf dem „Löwen“ kam, die nachfolgenden Wirte-Generationen trugen fortan erst einmal den Namen Billharz. Johann Georg und Anna Billharz hatten drei Kinder. Das Älteste Andreas (1705 bis 1767) wird im Familienteil des Heimatbuchs als nächster „Gastwirt zum Löwen“ erwähnt. Auch Andreas Billharz, der Maria Anna, geborene Zehnle (1693 bis 1762) zur Frau hatte, hatte drei Kinder. Das mittlere hieß Placidus (1732 bis 1800) und wird ebenfalls als „Wirt zum Löwen“ bezeichnet. Placidus Billharz hatte mit Anna (1736 bis 1811), eine geborene Striegel aus Schweighausen, fünf Buben. Der Älteste zog nach Münchweier, die anderen vier starben in jungen Jahren. Placidus und Anna Billharz hatten keine Mädchen, weshalb davon auszugehen ist, dass der bereits erwähnte Weber Anton Rösch 1788 beziehungsweise 1793 den „Löwen“ käuflich erworben hat. Am 26. Februar 1781 heiratete er Anna Maria Göppert (1760 bis 1835), die ihm zehn Kinder gebar. Das Letzte wurde allerdings tot geboren. Der zweitälteste Sohn Joseph (1788 bis 1847) folgte Anton Rösch als „Löwenwirt“. Aus dessen erster Ehe mit Barbara Burger (1794 bis 1827) gingen sechs Kinder hervor. Der jüngste Spross Wilhelm (1824 bis 1906), ein gelernter Bäcker, trat die Nachfolge als „Löwenwirt“ an. Nach sieben Kindern mit Elisabetha, geborene Griesbaum (1825 bis 1863), heiratete Wilhelm zwei Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau erneut. Mit Rosina, geborene Griesbaum (1843 bis 1926), hatte er noch spät eine Tochter. Es war Josefine Rösch (1869 bis 1960), die am 12. Mai 1891 den aus dem Elztal stammenden Bäcker Nikolaus Wehrle (1864 bis 1912) heiratete. Mit ihm kam nicht nur der Name Wehrle auf den „Löwen“, sondern auch erstmals nach Dörlinbach. Knapp eineinhalb Jahre nach der Hochzeit traf das junge Paar am 19. Oktober 1892 mitten in der Nacht ein Schicksalsschlag. Das Gehöft brannte nieder. Es war Brandstiftung, der oder die Täter konnten nie ermittelt werden.
Auf Hauswiese neue Gaststätte gebaut

Die Wehrles standen vor dem Nichts. Trotz aller Nöte wagten sie einen Neuanfang. Auf einer davor liegenden Hauswiese errichteten in den Jahren 1893 und 1894 Nikolaus und Josefine Wehrle das heutige „Löwen“-Gebäude. Schon im alten „Löwen“ hatte Nikolaus Wehrle neben der Gaststube einen Bäckerladen geführt, den er im neuen „Löwen“ zu einem Kolonialwarenladen erweiterte. Und im Jahre 1912 gründeten die Wehrles, die inzwischen zu einer Großfamilie angewachsen sind, eine Teigwarenfabrik (siehe dazu auch unter Blog-Beitrag „Nudelherstellung in Dörlinbach vom 21. Mai 2022“). Alles schien gut zu gehen, der Neuanfang war geglückt. Aber 1912 war zugleich jenes Jahr, in dem am 10. August das Schicksal ein zweites Mal zuschlagen sollte. Nikolaus Wehrle stürzte vom Heustock und brach sich dabei das Genick. Der Teigwarenfabrik wurde im Jahre 1930 eine Bäckerei angeschlossen. Zwei Jahre später wurde schließlich der Besitz an die fünf Söhne von Nikolaus und Josefine Wehrle aufgeteilt. Die Teigwarenfabrik samt Bäckerei übernahmen die Brüder Oskar (1897 bis 1983), Emil (1900 bis 2002) und Karl (1892 bis 1955). Sohn Rudolf (1896 bis 1985) erhielt die Landwirtschaft. Das Gasthaus „Zum Löwen“ ging an Sohn Friedrich (1895 bis 1982), der im Ort meist nur Fritz gerufen wurde. Er hatte das Küferhandwerk erlernt und arbeitete viele Jahre in eigener Werkstätte im Keller. Die Betreuung der „Löwen“-Gäste oblag in dieser Zeit weitgehend seiner Frau Amalia, eine geborene Hämmerle (1908 bis 1992), eine Tochter des damaligen „Sonne“-Wirts in Schweighausen. Der zweitjüngste Sohn von Fritz und Amalia, Karl Wilhelm (1940 bis 2020), den alle nur Willi nannten, heiratete im September 1964 in St. Märgen die aus Reichenbach stammende Thekla Maria Magdalena Rappenecker (1944 bis 2021). Zwei Jahre später erfolgte die Übergabe an Willi und Thekla Wehrle. Niemand konnte zu dem Zeitpunkt erahnen, dass sie die letzte Wirte-Generation auf dem „Löwen“ sein werden. Willi als Metzgermeister und Koch sowie Ehefrau Thekla als Restaurant-Fachfrau kümmerten sich seit der Übernahme nicht nur um das Wohl ihrer Gäste, sondern gaben dem „Löwen“ auch ein neues, moderneres Erscheinungsbild.

Mehrere vorteilhafte Veränderungen

Unter anderem erstrahlte der Gastraum mit 80 Sitzplätzen durch mehrere vorteilhafte Veränderungen in einem neuen Antlitz. Zudem wurde im Jahre 1974 im Nebenzimmer eine Bauernstube mit 40 Plätzen eingerichtet. Den Mittelpunkt der Bauernstube bildete ein Kachelofen, der im Winter für eine wohlige Wärme sorgte und daher bei den Gästen sehr beliebt war. Und auch dem Fremdenverkehr widmete sich das Wirte-Ehepaar zu. In den beiden Obergeschossen wurden insgesamt 15 Fremdenzimmer in moderner Ausstattung ausgebaut. Zu einem beliebten Anlaufpunkt wurde jedoch das Kellergeschoss, wo sich die Küferwerkstätte von Fritz Wehrle befand. Denn in die einstige Werkstätte zog eine Sauna sowie ein Solarium ein. Aber nicht nur das innere Erscheinungsbild veränderte sich nach und nach. Die Fassade erstrahlte mittlerweile in Grün. Auch an Blumen mangelte es nicht und ein herausgeputztes schmiedeeisernes Wirtschaftsschild weist auf die Geschichte des Hauses hin. Der „Löwen“ wurde als Speiselokal zu einem Begriff – nicht nur im Schuttertal.

200 Jahre „Löwen“ gefeiert

Als im Jahre 1988 groß der 200. Geburtstag des „Löwen“ gefeiert wurde, beriefen sich die Wehrles auf den Kirchenbuch-Eintrag von 1788, der Anton Rösch aus Biederbach als vermeintlich ersten „Wirt des Löwens“ ausweist. Das vor den Röschs es aber schon drei „Löwen“-Wirte mit dem Familiennamen Billharz gab, war offensichtlich nicht bekannt. Die Feierlichkeiten waren damals ganz auf die Röschs und Wehrles ausgelegt. Den Hauptschwerpunkt bildeten dabei die Wehrle-Genrationen. Unter anderem wurden die 200 Jahre mit einer „Badischen Spezialitäten-Woche“ gefeiert, die zugleich die Leistungsfähigkeit der „Löwen“-Küche untermauern sollte. Manche ältere Bürgerinnen und mancher Bürger erinnern sich vielleicht noch daran. Vielleicht auch an die „Schuttertäler Gerstensuppe“ – eine von vielen Spezialitäten, die damals alle aus eigener Produktion kamen. Die Jubiläumswoche nahmen die damaligen Wirtsleute auch zum Anlass zu einem zweiten Wehrle-Treffen nach Dörlinbach einzuladen. Die Wehrles waren seinerzeit vor allem in Südbaden und Westfalen ansässig. Infos zu deren allererstem Wehrle-Treffen im Jahre 1986 gibt es übrigens unter dem Blog-Beitrag „Erinnerungen an die Ahnen“ vom 3. April 2022.

Thekla und Willi Wehrle hatten vier Kinder – alles Mädels. Zwei der Töchter wendeten sich beruflich der Gastronomie zu, aber weder sie noch die anderen beiden Töchter übernahmen zu einem späteren Zeitpunkt das elterliche Speiselokal. Die Ära Wehrle auf dem „Löwen“ endete noch vor der Jahrtausendwende. Zwar fand sich für kurze Zeit noch einmal mit Horst Rein aus Herbolzheim ein Pächter, aber schon kurz nach dem Beginn des neuen Jahrtausend stand das Gasthaus erst einmal leer. Die letzte Großveranstaltung im „Löwen“ datiert aus dem Jahr 1999 – ein internationales Gold-Winger-Treffen (siehe dazu unter Blog-Beitrag „Gold-Wings on Tour“ vom 3. Mai 2021). Klaus Faißt übernahm schließlich im Jahre 2005 als neuer Besitzer das „Löwen“-Areal. Faißt, ein gebürtiger Dörlinbacher, der mittlerweile in Seelbach lebt, hält seither den Geist des ehemaligen Gasthauses wach, bietet die Lokalität unter anderem für Feste und Feiern an. Unter anderem fanden in den Jahren 2017 bis 2019 auch mal wieder Fasnachtsveranstaltungen im „Löwen“ statt. Und einmal in der Woche – anfangs freitags, später samstags – öffnete er auch den „Löwen“ für Gäste.

Die „Löwen“-Wirte ab dem 18. Jahrhundert:

  • Philipp Kern (Geburtsdatum nicht bekannt, gestorben 1714)
  • Georg Kern (Geburtsdatum nicht bekannt, gestorben 1728
  • Johann Georg Billharz (1685 bis 1713)
  • Andreas Billharz (1705 bis 1767)
  • Placidus Billharz (1732 bis 1800)
  • Anton Rösch (Geburtsdatum nicht bekannt, gestorben 1831)
  • Joseph Rösch (1788 bis 1847)
  • Wilhelm Rösch (1824 bis 1906)
  • Nikolaus Wehrle (1864 bis 1912)
  • Friedrich Wehrle, genannt Fritz (1895 bis 1982)
  • Karl Wilhelm Wehrle, genannt Willi (1940 bis 2020)

Veröffentlicht am 4. Juli 2022 / red / whcr

Visuelle Impressionen zur Geschichte:

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