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Derlebacher G’schichtle Folge 40

Lesedauer: 3 Minuten

Fischers Drahtseilakts zwischen Militär und persönlicher Freiheit

Der Lebenslauf von Hermann Fischer (1886 bis 1983) liest sich wie ein spannender Roman voller unerwarteter Wendungen und skurriler Anekdoten. Ursprünglich als Schuhmacher in Lahr tätig, wurde er im Jahre 1906 zu den sogenannten „169ern“ eingezogen. Wenige konnten ahnen, dass dieser Mann, der 1943 bereits 58 Jahre alt war, bald zum unfreiwilligen Protagonisten eines Drahtseilakts zwischen Militär und persönlicher Freiheit werden sollte.

Derlebacher Gschichtle Folge 40
Die Zeit des Nationalsozialismus stellte für den Dörlinbacher gleichsam ein Risiko und eine Herausforderung dar. Trotz seines Alters war es anzunehmen, dass man ihn vom aktiven Kriegsdienst verschonen würde. Doch weit gefehlt! Fischer war ein Mann, der seine Meinung offen aussprach, den Mund nie halten konnte, und immer wieder die „Höchste Obrigkeit“ mit seinen Worten herausforderte.
Derlebacher Gschichtle Folge 40
Außenwandgemälde in der Brandhalde (Anwesen Kaspar). Hans Buschs Erstlingswerk an Dörlinbachs Hauswänden, das er im August 1975 fertigstellte.
Derlebacher Gschichtle Folge 40
Während eines geselligen Abends am Biertisch kam es, wie es kommen musste: Kaum hatte er die Frage nach dem Unterschied zwischen der Regierung und „roten Lumpen am Ende von Langholzfuhrwerken“ gestellt, verbreitete sich sein Kommentar wie ein Lauffeuer. Die Denunzianten waren schnell, und wenig später fand sich Fischer aufgrund von Beleidigung im Lager Heuberg wieder – zwölf Tage lang! Nach seiner Rückkehr wurde er von seiner Familie strikt „an die Leine gelegt“. Doch der Schalk, das wussten alle, saß ihm im Nacken und ließ ihn nicht ruhen. Bei einem „Ausbruch“ ins nahe Gasthaus fiel er erneut in die Maschen der Denunzianten. Diesmal war die Rückkehr ins Militär nicht mehr abzuwenden. Am 17. August 1943 trat er seinen Dienst in Deutsch-Krone (ein Landkreis, der zwischen 1772 und 1945 in Preußen bestand) an, allerdings in einer eher ungewöhnlichen Rolle – als Koch in einer Marine-Artillerie-Abteilung. Es scheint, als hätte man ihm bei der Marine seinen scharfen Humor nicht übelgenommen, denn die Beförderung zum Marinemaat ließ nicht lange auf sich warten. In seiner neuen Position als Kurier reiste Fischer nun durch Deutschland, was ihm interessante Einblicke in die Wirren des Krieges verschaffte. Einmal landete er sogar in seiner alten Heimat Lahr, um Patronen für Panzerfäuste zu beschaffen. Welch ironische Wendung des Schicksals! Als der Krieg in die Endphase ging, war Hermann Fischer einer der wenigen, die mit einem gewissen Enthusiasmus sogar für die Beseitigung der Pläne des Hauptquartiers Dönitz zuständig waren. Zwei lange Tage und Nächte benötigte er, um die kriegswichtigen Dokumente in Flammen aufgehen zu lassen – ein rauchendes Ende einer grauenvollen Ära. Schließlich kam die Kapitulation, und die Engländer hatten ein Auge auf Fischer geworfen. Er wurde für ein halbes Jahr in Gefangenschaft genommen und musste bei einem Bauern arbeiten, bevor er schließlich wieder zu seiner Familie zurückkehren konnte. Als er sie wieder sah, war er sechzig Jahre alt – ein Alter, in dem viele sich bereits zur Ruhe setzen, doch Hermann Fischer war ein echter Überlebenskünstler, der nicht nur mit dem Militär, sondern auch mit dem Leben selbst auf Kriegsfuß stand.
Trotz widriger Umstände: Humor und Menschlichkeit bewahrt

So bleibt uns Hermann Fischer in Erinnerung: als ein Mann, der trotz widriger Umstände seinen Humor und seine Menschlichkeit bewahrte. Und so erzählt die Geschichte von den „Höchsten Obrigkeiten“ und dem kleinen Mann, der ihnen die Stirn bot – eine wahres G’schichtle, das uns lehrt, auch in schweren Zeiten den Schalk im Nacken zu behalten. Noch mehr Fischer-G’schichtle könnt ihr euch in der Folge 13 – „Mit Fahrrad und Nachthemd ins Gefängnis“ – und Folge 14 – „Schalk und Witzeerzähler bis ins hohe Alter“ – zu Gemüte führen! Lesenswert zu Hermann Fischer ist sicherlich auch der letzte Abschnitt in der Folge 28 – „Hansjakob bei den Engelmenschen im Durenbach“.

Veröffentlicht am 30. November 2023 / red

Visuelle Impressionen zur Geschichte:

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