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Derlebacher G’schichtle Folge 58

Lesedauer: 3 Minuten

Der Schnee gab erst nach Wochen die Vermisste frei

Vor sechs Jahrzehnten war Dörlinbach von einer mysteriösen Tragödie erschüttert, die die Dorfgemeinschaft über Wochen in Atem hielt. Im Februar 1965 verschwand die 75-jährige Maria Anna Weber, ein bekanntes Gesicht vom Oberrain, ohne jede Spur. Die letzten Lebenszeichen der alten Dame wurden am 6. Februar im Nachbarort Schweighausen registriert, als sie an einer Beerdigung teilnahm und äußerte, dass sie im Anschluss noch Bekannte auf dem Geisberg und in Oberbiederbach besuchen wolle.
Derlebacher Gschichtle Folge 58
Im Dorf war Maria Anna Weber allgemein als „Nännän“ bekannt, ein Spitzname, der weniger aus Zuneigung und mehr aus Hänselei resultierte. Die jüngeren Bewohnerinnen und Bewohner hatten den Namen aufgrund ihres Sprachfehlers geprägt. Wenn sie an der Dorfschule vorbeiging, ertönte oft das Rufen von Schülerin und Schülern, die „Nännän“ hinterher riefen. Wurden diese Spottäußerungen jedoch von einem Lehrer vernommen, hatten die Kinder mit unangenehmen Konsequenzen zu rechnen – eine Erinnerung, die viele ehemalige Schülerinnen und Schüler heute noch beschäftigt.
Derlebacher Gschichtle Folge 58
Außenwandgemälde in der Brandhalde (Anwesen Kaspar). Hans Buschs Erstlingswerk an Dörlinbachs Hauswänden, das er im August 1975 fertigstellte.
Derlebacher Gschichtle Folge 58
Zurück zu jenem schicksalhaften Tag vor exakt 60 Jahren, als besagte „Nännän“ aus der Dorfgemeinschaft verschwand. Die ersten Tage nach ihrem Verschwinden blieben unaufgeregt, da es nicht ungewöhnlich für Maria war, mehrere Tage unterwegs zu sein. Doch als sie ein ganze Woche nicht zurückkehrte, keimte die Sorge auf. Das Dorf, das Maria gut kannte, begann sich zu mobilisieren. Suchtrupps durchkämmten die umliegenden Wiesen, Felder und Wälder – allesamt ohne Erfolg. Die rührende Hilfsbereitschaft der Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner und die Unterstützung der örtlichen Feuerwehr konnten die Dunkelheit der Ungewissheit nicht vertreiben. Fast sechs Wochen lang blieb das Schicksal der Rentnerin ungeklärt, während die Kälte des Winters das Land in einem erstarrten Zustand hielt. Der unerbittliche Schnee verhüllte nicht nur die Landschaft, sondern auch die Wahrheit über Marias Verbleib.
Leiche lag lange unentdeckt im Prinschbach
Am 17. März schließlich, als der Schnee endlich zu schmelzen begann, stieß ein Landwirt am Prinschbach auf eine entsetzliche Entdeckung: Die Leiche von Maria Anna Weber, die offenbar auf dem Heimweg in einem Schneesturm verunglückt war. Die Autopsie ergab, dass sie an genau dem Tag gestorben war, an dem sie zuletzt gesehen wurde. Sie musste in den Bach gefallen sein, während sie versuchte, nach Hause zu gelangen. Die heftigen Schneefälle und der strenge Winter hatten ihre Rettung allerdings bis zu diesem Zeitpunkt unmöglich gemacht.
Rückblick und Mahnmal zugleich

Die Trauer und das Entsetzen über den Verlust von Maria Anna Weber (1890 bis 1965) hinterließen in der Gemeinschaft tiefe Spuren. Ihr tragisches Schicksal und die quälende Ungewissheit über ihr Verschwinden bewegten die Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner zutiefst. Die Erinnerungen an die Rentnerin blieben lebendig, und ihre mysteriöse Geschichte wurde zu einem dauerhaften Teil des kollektiven Gedächtnisses von Dörlinbach. Diese Erzählung dient nicht nur als Rückblick auf ein tragisches Ereignis, sondern auch als eindringliches Mahnmal, das uns daran erinnert, wie schnell sich das Leben verändern kann und wie zerbrechlich unsere menschliche Existenz ist. Während der Schnee das Geheimnis bewahrte, lebt die Erinnerung an Maria Anna Weber weiter – selbst bei jenen, die sie einst als „Nännän“ hänselten.

Veröffentlicht am 6. Februar 2025 / red

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