Im „Hisle“, wie Apollonias Wohnhaus unterhalb der Kirche im Ort genannt wurde, fand die Madonna einen ehrenden Platz auf einem Tisch in Apollonias Schlafzimmer. Ihr genaues Alter bleibt ein Geheimnis, doch solche Mariendarstellungen fanden besonders im 17. und 18. Jahrhundert Verbreitung. Die stehende Muttergottes mit dem Jesuskind strahlt eine majestätische Anmut aus. Heute schmückt eine gelbe Rose, die in Marias rechter Hand steckt, die Statue, die einst ein Zepter hielt – dieses ist leider nicht mehr vorhanden. Auf Marias linken Unterarm thront das Jesuskind, das ursprünglich eine Weltkugel in seiner Hand hielt, auch diese ist mittlerweile verschwunden. Um beide Figuren legt sich ein göttlicher Glanz, der sie in eine fast himmlische Aura taucht. Die Kronen auf ihren Häuptern verdeutlichen die königliche Rolle Marias als Königin und die des Christuskindes als König der Welt.
Die Dörlinbacher Madonna ist nicht aus massivem Holz geschnitzt. Unter dem Gewand der Gottesmutter scheinen Drahtgestelle verborgen zu sein. Der Kopf sowie die Hände beider Figuren sind teilweise brüchig, während die Köpfe recht gut erhalten sind. Es wird vermutet, dass Appolonia die Kleider der Madonna und des Kindes eigenhändig nähte, nachdem sie die Figuren in Sicherheit gebracht hatte. Unter dem Kleid der Gottesmutter kommt ein älteres blaugoldenes Gewand zum Vorschein, möglicherweise das ursprüngliche Gewand. Das Jesuskind trägt ebenfalls ein darunterliegendes Gewand. Die Kleidungsstücke sind fast ein Jahrhundert alt, und ihr Stoff zeigt bereits einige Blessuren. Ein hellblaues Band, das die Gottesmutter um ihr Kleid trägt, hat an Farbtiefe eingebüßt. Eine kleine Halterung am Hinterkopf deutet darauf hin, dass Maria einst möglicherweise einen Schleier trug. Ungewiss ist auch, ob sich eine Mondsichel am Sockel befand – ein typisches Element bei Mondsichelmadonnen. Trotz der erkennbaren Mängel strahlt das Ensemble Madonna mit Kind immer noch eine bemerkenswerte Anziehungskraft aus.
Seit 1922 in Privatbesitz
Einen würdigen Platz fand die Madonna nie in der in den Jahren 1922 und 1923 erbauten Sankt-Johannes-Kirche. Obwohl es während einer umfangreichen Renovierung kurzzeitig danach aussah. Nach Appolonias Tod im Jahr 1978 übernahm Johanna Franziska Faißt, geborene Ohnemus (Jahrgang 1940), die Verantwortung für die Madonna. Ein Umzug folgte – jedoch nur zwei Häuser weiter, wo die Statue bis heute aufbewahrt wird.
Im Rahmen der Kirchenrenovation 1982 zeigten sowohl Bruno Dilger (1935 bis 2016), der damalige Vorsitzende der Pfarrgemeinde, als auch Hermann Josef Rothweiler (Jahrgang 1939), damals Mesner, Interesse an dem „Nachlass“ der alten Kapelle. Gespräche wurden geführt, und man einigte sich darauf, dass die Madonna nur dann an die Pfarrgemeinde zurückkehren sollte, wenn es in der frisch renovierten Kirche einen angemessenen Platz für sie gäbe. Die Madonnenfigur wurde in einer speziellen Transportkiste sicher verpackt, doch der Versuch, einen Platz in der neugestalteten Kirche zu finden, scheiterte. Die Ästhetik des neuen Kirchenraums schien aus der Sicht der Verantwortlichen sowie des kirchlichen Bauamts nicht im Einklang mit dem historischen Wert der Madonna zu stehen. Bei dieser Entscheidung dürfte aber wohl eher der renovierungsbedürftige Zustand eine wesentliche Rolle gespielt haben. Und so kehrte das Kunstwerk in den Privatbesitz zurück.
Die Geschichte dieser Madonna mit Kind ist ein eindringlicher Appell an das Bewusstsein für kulturelles Erbe und die wertvolle Geschichte, die uns umgibt. Sie lädt uns ein, darüber nachzudenken, wie wichtig es ist, solche Schätze für kommende Generationen zu bewahren.
Veröffentlicht am 10. Juni 2022 / red
0 Kommentare