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Das Schneiderhandwerk

Lesedauer: 4 Minuten

Erste Spuren schon um das Jahr 1700

Ihre Arbeiten waren individuell auf jeden einzelnen Kunden, auf jede einzelne Kundin zugeschnittene Unikate. Maßschneider hatten über Jahrhunderte hinweg eine Tradition in Dörlinbach. Heutzutage sind solche Handwerksleistungen wie eben auch die Maßanfertigungen teuer und vor allem seltener geworden. Das liegt vor allem an den Massenproduktionen im Textilbereich und an der Globalisierung. Vorbei sind die Zeiten, wo man sich für besondere Festtage einen Anzug oder ein Kleid maßgeschneidert anfertigen ließ – und das auch noch im eigenen Ort.

Am ältesten Haus des Dorfes befinden sich Berufssymbole des Schneiderhandwerks. Drei Schneider-Generationen lebten in dem 1734 erbauten Haus.
Das Schneiderhandwerk war lange Zeit präsent im Ort. Die Zeiten sind jedoch längst Geschichte. Schneidermeister mit einem eigenen Geschäft gibt es nicht mehr in Dörlinbach. Lediglich im Nachbarort Schweighausen hat sich das Schneiderhandwerk bis heute durchgesetzt. Die Grundlage für das heutige Unternehmen Fischerkleidung auf dem Geisberg legte im Jahre 1899 Josef Fischer mit seiner damaligen Hausschneiderei.
Schneidermeister Wilhelm Rothweiler (1876 bis 1955). Seine Schneiderei befand sich am Kapellenweg (Heute: Oberdorf).
Außenwandgemälde in der Brandhalde (Anwesen Kaspar). Hans Buschs Erstlingswerk an Dörlinbachs Hauswänden, das er im August 1975 fertigstellte.
Am ältesten Haus des Dorfes befinden sich Berufssymbole des Schneiderhandwerks. Drei Schneider-Generationen lebten in dem 1734 erbauten Haus.

Maßanfertigungen aus der Hausschneiderei waren in Dörlinbach vor allem bis in die zweite Hälfe des 20. Jahrhunderts noch weit verbreitet. Die letzten aktiven Schneidermeister waren Josef Steuert (1914 bis 1997) und Alois Schätzle (1926 bis 2000). Steuerts ältester Sohn Karl (1946 bis 2018) erlernte ebenfalls das Schneiderhandwerk, übte jedoch später einen anderen Beruf aus. Von den weiteren Kindern Steuerts als auch von den Kindern Alois Schätzles erlernte hingegen niemand den Beruf eines Schneiders oder einer Schneiderin. Somit endete nach der Geschäftsaufgabe von Alois Schätzle (wegen Krankheit ) das althergebrachte Schneiderhandwerk für immer im Ort. Schätzle hatte neben seiner Damen- und Herren-Schneiderei auch ein Textil- und Modegeschäft im Ort aufgebaut. Beide Schneidermeister ließen übrigens ihre Handwerkskunst im Rahmen der 750-Jahr-Feierlichkeiten im Jahre 1975 noch einmal so richtig aufleben. Denn „s‘ Steiert-Schnienders“ und „s‘ Schätzli-Schnienders“, wie sie im Ort genannt wurden, gestalteten gemeinsam einen Wagen für den großen Festumzug, bei dem das Schneiderhandwerk vergangener Tage zur Schau gestellt wurde (siehe auch Blog-Beitrag „Dorfjubiläum im August 1975“ vom 1. April 2021).

Die Ära der Schneidermeister
Bei den Steuerts gab es vor besagtem Josef keinen Schneider in der Familie. Anders verhält es sich bei den Schätzles. Denn auch Alois Schätzles Vater (1890 bis 1960), der den gleichen Vornamen trug, war Schneidermeister von Beruf. Wenn zu Beginn des 20. Jahrhunderts von „Schnienders“ oder „Schnieders“ die Rede war, war jedoch weder das Haus von Josef Steuert, noch das von Vater und Sohn Alois Schätzle gemeint. Sondern vielmehr die Familie von Schneidermeister Wilhelm Rothweiler (1876 bis 1955). Dieser war aber nicht nur ein typischer „Bauern- und Talschneider“, sondern auch ein exzellenter Zeitzeuge, der überall im Ort mit seiner Kamera präsent war. In seinem Buch „Erinnerungen vergangener Tage“ bezeichnet ihn der Schuttertäler Autor und Heimatforscher Gerhard Finkbeiner (1941 bis 2009) als den ersten „Amateurfotografen in Dörlinbach“ (siehe dazu Blog-Beitrag „Bildchronisten von einst“ vom 9. Juni 2021). Rothweiler war jedoch nicht der erste Schneidermeister im Ort. Dem Dörlinbacher Heimatbuch ist zu entnehmen, dass dies Andreas Eckermann (1822 bis 1874) gewesen sein muss. Eckermanns Ehefrau Maria Anna, eine geborene Striegel (1783 bis 1853), kam wie seine Eltern aus dem Nachbarort Schweighausen. Weitere Angaben zu Schneidermeister Eckermann gibt es nicht, wenn man einmal davon absieht, dass seine Kinder keinen Schneiderberuf erlernten.
Dorfschneider über mehrere Generationen
Soweit zu den Meistern des Fachs. Vor ihnen gab es aber auch schon ganz gewöhnliche Dorfschneider im Ort. Zu ihnen gehörte Johannes Neininger (1697 bis 1767), der im Jahre 1734 am Kapellenberg (heute: Am Kappelberg) ein kleinbäuerliches Handwerkerhaus in Ständer-Bohlen-Bauweise errichtete. Von dessen Handwerkskunst zeugt heute noch eine Ecksäulen-Inschrift mit den Berufssymbolen des Schneiderhandwerks sowie seinen Initialen am ältesten noch existierenden Haus in Dörlinbach. Aber auch schon Johannes Neiningers Vater Christian aus Tennenbronn im Schwarzwald übte das Schneiderhandwerk aus. Er verstarb im Jahr nach dem Hausbau in Dörlinbach – das war im November 1735. Aus der Ehe von Johannes und Anna Barbara Neininger (geb. Griesbaum / 1698 bis 1759) ging als ältester Sohn von fünf Kindern Johann (1728 bis 1803) hervor, der wie sein Vater und Großvater ebenfalls den Beruf des Schneiders erlernte. Doch mit ihm endete auch diese Handwerkskunst im Hause Neininger. Von deren zehn Kindern setzte niemand die Schneider-Tradition fort. Ein Grund dafür dürfte sicherlich der Tatsache geschuldet sein, dass drei der vier Buben schon sehr früh verstarben. Landolin Neininger (1768 bis 1826) der als einziger Bub das Erwachsenenalter erreichte wurde Zimmermann. Trotz dreier Generationen von Dorfschneidern wurde mit den Neiningers nie der Übernahme „Schnienders“ oder „Schnieders“ in Verbinding gebracht, wie es bei Steuerts, Schätzles und Rothweilers der Fall war. Das historische Handwerkerhaus hat seinen Übernamen späteren Bewohnern zu verdanken. So spricht man heute noch im Dorf von „s' Striegels“ beziehungsweise von „s' Moritze“. Ganz zum Schluss sei noch erwähnt, dass in Dörlinbach in den vergangenen drei Jahrhunderten noch zwei weitere Dorfschneider sowie ein Schneidermeister lebten. Zum einen sind dies Johann Jacob Griesbaum (1712 bis 1773), dessen Eltern aus Schuttertal stammen, sowie Hermann Griesbaum (1882 bis 1943), der gebürtig aus Schweighausen kommt. Zu guter Letzt Schneidermeister Friedrich Billharz (1937 bis 2016), der allerdings im Januar 1964 den Heimatort verließ und mit seiner Familie nach Altdorf zog, wo er ein Schneidergeschäft mit Laden eröffnete.

Veröffentlicht am 5. August 2021 / red

Visuelle Impressionen zur Geschichte:

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