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Derlebacher G’schichtle Folge 32

Lesedauer: 3 Minuten

Zwei unvergessliche „Fotografen“ ohne Atelier

In unserem Dorf lebten einmal zwei außergewöhnliche Männer, die durch ihre Leidenschaft für die Fotografie Generationen prägten: Wilhelm Rothweiler (1876 bis 1955) und sein Sohn Josef Rothweiler (1902 bis 1982). Sie hielten über Jahrzehnte hinweg das einzigartige Dorfleben mit Celluloidfilmen und Glasnegativen fest und schufen damit ein bleibendes Erbe. Für beide war die Fotografie mehr als nur ein Beruf – es war ein Hobby, ein Lebenselixier.

Derlebacher Gschichtle Folge 32
Wilhelm, hauptberuflich als Bauern- und Talschneider tätig, fand in den unterschiedlichen Lebenswelten der Dorfbewohner stets neue Inspirationen. Mit seiner Kamera hielt er die Menschen auf den Bauernhöfen und im Dorf im besten Licht fest – in ihren schlichten aber feinen Kleidern und Trachten. Sein Sohn Josef, der als Krumholz und später als Wagner eigenständig arbeitete, teilte diese Leidenschaft. Die Dorfbewohner nannten ihn einfach nur „Schnieder Sepp“.
Derlebacher Gschichtle Folge 32
Außenwandgemälde in der Brandhalde (Anwesen Kaspar). Hans Buschs Erstlingswerk an Dörlinbachs Hauswänden, das er im August 1975 fertigstellte.
Derlebacher Gschichtle Folge 32
Der Schnieder Sepp war allseits beliebt und nahm rege am Dorfleben teil, stets mit seiner Kamera im Schlepptau. Kaum ein Kind in Dörlinbach kam ohne ein Portrait vom Schnieder Sepp durch die Kindheit. Insbesondere die Erstkommunionkinder erinnern sich heute noch gerne an jene besonderen Tage. „Wenn es am Weißen Sonntag in der Kirche nicht klappte“, erzählt eine der ehemaligen Kommunionkindern, „dann war er am Montag bei sich zu Hause die Zuverlässigkeit in Person. Er hatte zwar kein Atelier wie die aufkommenden Berufsfotografen in Seelbach und Lahr, doch er wusste genau, wie er das Licht und die Kulisse zu nutzen hatte. Seine Treppe war sein Studio, und manchmal musste man nur vor die Haustür treten, um perfekt in Szene gesetzt zu werden.“ Mit einem leichten Lächeln fuhr die alte Dame fort: „Ich erinnere mich, als ich in meinem weißen Kleidchen stand, die Sonne strahlte und der Schnieder Sepp mir den schönsten Platz auf der Treppe zeigte. Er hatte eine Art, dass ich mich wie eine Prinzessin fühlte.“ In den 1960er-Jahren, als die Welt langsam farbig wurde, hatte Sepp noch die Geduld und Freude, die auf Schwarz-Weiß-Fotografie basierenden Erinnerungen zu schaffen. Zu dieser Zeit war die Erinnerung in Graustufen oft die einzige Möglichkeit, die Liebe des Lebens festzuhalten. Die Kulissen waren einfach, aber einfallsreich – mal diente ein Bauernhof als Hintergrund, mal ein altes Scheunentor oder eine lichtdurchflutete Mauer, an der ein Leinentuch befestigt war. Es war nicht nur ein Bild, das er festhielt – es war eine Geschichte, ein Stück Heimat. „Wir waren keine Profis, aber wir brachten die Menschen zusammen“, sagte er oft und lächelte dabei. So leben die Bilder des Schnieder Sepp und seines Vaters weiter – nicht nur in Rahmen und Alben, sondern in den Herzen der Menschen, die sie stets an die vergänglichen, liebenswerten Momente des Lebens erinnern. Und während die Erinnerungen an die unzähligen Lacher, gemeinsamen Feste und stillen Augenblicke in den alten Fotografien verweilen, bleibt der Geist der beiden Fotografen unvergessen – echte „Fotografen ohne Atelier“, die unser Dorfleben in einzigartigen Bildern lebendig hielten.

Veröffentlicht am 11. November 2022 / red

Visuelle Impressionen zur Geschichte:

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