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Derlebacher G’schichtle Folge 45

Lesedauer: 3 Minuten

Das ungeschriebene Gesetz auf dem Rothweilerhof

Im Durenbach, einem Seitental bei Dörlinbach, wo die Luft frisch und die Wiesen saftig-grün sind, lag einst der Rothweilerhof – ein Ort, der wie ein lebendiges Geschichtsbuch daherkam. Ein Flecken Erde, wo die Zeit stillzustehen schien. Zumindest für den aus Haslach im Kinzigtal stammenden Heimatschriftsteller und katholische Geistlichen Heinrich Hansjakob (1837 bis 1916), der von der harmonischen Lebensweise angetan war, die zwischen den beiden Familien auf dem Hof herrschte. Ein Beispiel für gelebte Solidarität, das ihn bis ins Herz berührte und ihn an die ersten Christen erinnerte.
Derlebacher Gschichtle Folge 45
Was jedoch seine Gedanken am meisten anregte, war das ungeschriebene Gesetz des Rothweilerhofs. Dieses Regelwerk war nicht auf Papier festgehalten, sondern lebte durch die Rituale und Bräuche der Menschen, die auf dem Hof wohnten und arbeiteten. Ein geheimnisvolles Band, das die Generationen miteinander verknüpfte, und an das sich jeder Bauer und jede Bäuerin, die in diese außergewöhnliche Hofgemeinschaft einheiraten wollte, bedingungslos fügen musste.
Derlebacher Gschichtle Folge 45
Außenwandgemälde in der Brandhalde (Anwesen Kaspar). Hans Buschs Erstlingswerk an Dörlinbachs Hauswänden, das er im August 1975 fertigstellte.
Derlebacher Gschichtle Folge 45
Die Arbeit auf dem Hof war kein „Ich mach‘ mal eben“, sondern eher ein „Wir packen das gemeinsam an!“. Die Aufteilung der täglichen Aufgaben sorgte für eine perfekte Harmonie. Aber auch die religiösen Bräuche waren fester Bestandteil dieses ungeschriebenen Gesetzes – hier wurde der Glaube in jedem Atemzug gelebt. Vor und nach den Mahlzeiten, die traditionell in den getrennten Herrgottswinkeln der gemeinsamen Stube eingenommen wurden, versammelten sich immer beide Familien. Und die Mägde? Oh, die schmetterten laut und voller Inbrunst die Tischgebete: Vaterunser hier, Englischer Gruß da – keine Mahlzeit ohne heiligen Segen! Englischer Gruß war früher die Bezeichnung für die Grußworte des Erzengels Gabriel bei der Verkündigung, dass Maria den Sohn Gottes gebären werde.
Das Gelübde der Vorfahren
Besonders erinnerungswürdig ist das Abendgebet der Magd, die das Vorrecht hatte, die älteste Kuh zu melken. Mit feierlicher Stimme und einem Hauch von himmlischem Ehrfurcht sprach sie das Gebet, das sie dreimal wie einen beschützenden Zauber, der nicht nur über die Menschen, sondern auch über das Vieh und den wertvollen Hof wachte, wiederholte. Doch es war nicht nur der Glaube, der die Menschen zusammenschweißte. Da gab es auch eine ganz spezielle Vereinbarung: Das Gelübde der Vorfahren, das die Herzen der Nachkommen bis in die Neuzeit hinein prägte. Dankbar dafür, dass der Hof während einer verheerenden Viehseuche im Schuttertal verschont geblieben war, wurde an besonderen Feiertagen das Fleisch beiseitegelegt. Am ersten Weihnachtsfeiertag, am Oster- und Pfingstsonntag sowie an Allerheiligen wurde somit mit fröhlichem Lachen und herzhaftem Gemüse gefeiert.
Nicht ohne sich mit Weihwasser zu bekreuzigen
Und wenn es darum ging, sich vor den Launen des Schicksals zu schützen, gab es eine ungeschriebene Regel, die alle ernst nahmen: Bevor man das Hofgrundstück verließ und beispielsweise zur Arbeit ins Feld oder in den Wald ging, wurde man mit Weihwasser bekreuzigt. Schließlich wusste man, dass das Leben manchmal unvorhersehbar und voller Überraschungen sein kann.

Zur Geschichte des Hofes

Der Rothweilerhof, wo die dort lebenden Menschen ihre Geschichten und das ungeschriebene Gesetz von Generation zu Generation weitergaben, wurde leider am 14. Juli 1990 durch einen verheerenden Brand vollständig zerstört. Um von dem Leben auf dem Hof, den Menschen dort und dem schicksalhaften Tag des Brandes mehr zu erfahren, empfehlen wir euch, auch einmal in den erst kürzlich erschienen Blog-Beitrag „Der Rothweilerhof“ vom 25. Juli 2024 reinzuschauen.

Das Abendgebet der Magd:

Ave Maria, Ave Maria, Ave Maria,
lieber Herr Jesus Christus,
lieber Herr Jesus Christus,
lieber Herr Jesus Christus,
behüt Gott alles, was hier ist,
Leut und Vieh, Haus und Hof,
Feuer und Licht, alles was hier ist,
im Namen der heiligen Dreifaltigkeit.

Veröffentlicht am 23. August 2024 / red

Visuelle Impressionen zur Geschichte:

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