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Seltene und ungewöhnliche Namen

Lesedauer: 5 Minuten

Zeugen ihrer Zeit und ihrer Geschichten

Familiennamen haben in Deutschland eine lange Geschichte. Nachweislich kommen die ältesten Familiennamen aus Italien, wo einige bis ins neunte Jahrhundert zurückreichen, als sie in Venedig ihren Anfang nahmen. Diese Entwicklungen dienten in erster Linie dazu, Individuen klarer zu identifizieren. Im Gegensatz dazu sind die Ursprünge der Vornamen noch älter und wurden über Jahrhunderte hinweg von kulturellen und sozialen Strömungen geprägt.

Seltene und ungewöhnliche Vornamen im 17., 18. und 19. Jahrhundert in Dörlinbach: Panthaleon, Aloisyus, Wenzelaus, Euphrosine, Albertina, Crescentia, Rufina und Protas.
Jährlich veröffentlichte Statistiken zeigen uns die aktuell beliebtesten Vornamen. Doch während viele Eltern auf populäre Namen zurückgreifen, lässt sich beobachten, dass auch alte, klassische Vornamen immer wieder an Beliebtheit gewinnen – ein Trend, der beispielsweise 2022 mit Namen wie Luise, Thea oder Lotte zu erkennen war. Werfen wir jedoch einen Blick zurück in die Jahrhunderte 17, 18 und 19, wo die Dörlinbacher Namenslandschaft so manches Außergewöhnliche bereithält.
Pankratius Deibel (1925 bis 1943) ist als Soldat (Schütze) am 5. Oktober 1943 bei Mesamasheik in Russland gefallen.
Außenwandgemälde in der Brandhalde (Anwesen Kaspar). Hans Buschs Erstlingswerk an Dörlinbachs Hauswänden, das er im August 1975 fertigstellte.
Sehr beliebt waren um 1900 die Mädchennamen Maria und Anna. Hier alleine neun Zigarrenmacherinnen. Herausragend jedoch Rufina Griesbaum (vorne, mit Kind).
In dieser Zeit sind Namen wie Anna, Maria, Theresia, Rosina, Verena, Johannes, Anton, Andreas, Roman, Josef und Wilhelm nahezu omnipräsent. Doch wie sieht es mit den selteneren, fast vergessenen Namen aus? Ein besonders herausragendes Beispiel ist der Name Panthaleon, der gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Dörlinbach auftauchte. Panthaleon Kulosch, dessen Lebensdaten nicht dokumentiert sind, war ein österreichischer Soldat, der mit Maria Magdalena Ketterer (1781 bis 1836) verbunden war. Der Name Panthaleon, auch häufig als Pantaleon geschrieben, hat seine Wurzeln in der Antike und bedeutet übersetzt „All-Erbarmer“ oder „ganz mitfühlend“. Dies verweist auf eine tief verwurzelte kulturelle Bedeutung, die weit über den rein klanglichen Aspekt hinausgeht. Die Schreibweise des Namens hat sich über die Jahrhunderte hinweg mehrmals gewandelt. Ein bemerkenswerter Träger dieses Namens war Pantaleon, ein frühchristlicher Märtyrer und Heiliger, der im dritten Jahrhundert lebte. Sein bekannter Vorfahre war der Leibarzt des Kaisers Maximilian, Pataleon, der um das Jahr 305 in Nikomedien den Märtyrertod starb.
Aloisyus und Wenzelaus
Im Herzen der bayerischen Kultur finden sich oft Namen und Geschichten, die tief in der Vergangenheit verwurzelt sind. Einer dieser Namen ist Aloisius, berühmt geworden durch den legendären Schriftsteller Ludwig Thoma, der mit seinem grantigen Engel eine Vielzahl von Leserinnen und Lesern eroberte. Doch auch hier, in unserem beschaulichen Dörlinbach gab es einen ganz besonderen Aloisyus – geschrieben mit einem „y“. Die Geschichte dieses Aloisyus ist tragisch und zeugt von Schicksalsschlägen, die eine Familie in ihren Grundfesten erschütterten. Geboren im Jahr 1889, starb Aloisyus schon nach fünf Wochen. Ein Leben, das kaum die Chance hatte, sich zu entfalten. Noch tragischer ist das Schicksal seiner Brüder, die ebenfalls viel zu früh aus dem Leben gerissen wurden. So endete Bruder Johanns kurzer Aufenthalt auf dieser Welt 1886, als er nur sieben Wochen alt wurde. Der jüngere Bruder, der den Namen Alois trug, verstarb 1893 im Alter von lediglich fünf Wochen. Die Schatten der frühen Trauer schienen die Familie untrennbar zu begleiten und hinterließen teilweise tiefe Spuren im kollektiven Gedächtnis unseres Ortes. Im Kontrast zu dieser melancholischen Erzählung steht ein weiterer bemerkenswerter Name, der in unserer Region nicht oft anzutreffen ist: Wenzelaus. Der männliche Vorname, polnischer Herkunft, trägt eine Geschichtenvielfalt in sich, die bis nach Frankreich reicht. Wenzelaus Okurka war ein Kürschner, der einst in Paris lebte und arbeitete. Seine Wurzeln reichten in eine andere Zeit und einen anderen Ort, geprägt von industriellem Handwerk und dem Einfluss französischer Kultur. Seine Ehefrau, Christine Hupfer, geboren 1838 in Dörlinbach, teilte mit ihm das Schicksal des Lebens und der Verlustängste. Das Paar brachte 1865 einen Sohn zur Welt, der ebenfalls den Namen Wenzelaus erhielt. Doch auch hier blühten Hoffnung und Freude nur kurz auf, denn der kleine Wenzelaus verstarb im zarten Alter von vier Monaten. Diese Erzählungen von Wenzelaus und Aloisyus zeigen nicht nur den Kampf um das Leben, sondern reflektieren auch die Herausforderungen, mit denen Familien im 19. Jahrhundert konfrontiert waren.
Euphrosine und Albertina
Auch bei den weiblichen Vornamen gab es in jener Zeit nicht Alltägliches. Heiterkeit und Frohsinn stehen für Euphrosyne, ein Vorname griechischer Herkunft. In Dörlinbach taucht dieser Name in der Schreibweise Euphrosine auf. Euphrosine Gerber (1841 bis 1865) aus Forchheim bei Endingen heiratete im Jahre 1864 den Dörlinbacher Wendelin Müllerleile (geboren 1839 / Sterbedatum nicht bekannt). Wendelin Müllerleile heiratete ein Jahr nach dem Tod seiner ersten Frau Euphrosine ein weiteres Mal und wanderte drei Jahre später nach Amerika aus. Bei Albertina denken viele vielleicht an bedeutende Kunstmuseen und Institutionen, weniger an den Vornamen eines Mädchens. Sicherlich auch dem geschuldet, dass Albertina ein ausgesprochener seltener Name war und ist. Sozusagen ist Albertina ein besonderer Name, der aus dem Althochdeutsch kommt und „die vornehm Glänzende“ bedeutet. Maria Anna Albertina Singler (1843 bis 1886) trug hier im Ort einen solchen Namen. Sie heiratete im Jahre 1865 Bernhard Offenburger (1833 bis 1902). Mädchen, an diese die Eheleute vielleicht den Namen weitergeben hätten können, hatten sie allerdings nicht. Auch keine Jungs, die sie Albert (männliche Form von Albertina) taufen lassen konnten. Sie waren kinderlos. Es war übrigens früher gängige Praxis, dass vor allem in kinderreichen Familien mindestens ein Kind den Vornamen seiner Mutter oder seines Vaters trug. Bei Geschäftsleuten sogar bis ins 20. Jahrhundert hinein.

Crescentia, Kreszentia oder Creszentia

Der Name Crescentia, ein schöner und bedeutungsvoller weiblicher Vorname, hat seine Wurzeln im Lateinischen und symbolisiert „Wachstum“ sowie „Aufblühen“. Diese Bedeutung spiegelt die Hoffnungen und Wünsche wider, die Eltern für ihre Töchter hegen – eine Blüte des Lebens und des Potenzials. Eine bemerkenswerte historische Trägerin dieses Namens war Crescentia Adam (1737 bis 1817), die im Februar 1777 den damals ebenfalls renommierten Simon Ohnemus (1739 bis 1808) heiratete. Ihr Leben gibt uns einen Einblick in eine Zeit, in der dieser Name weitaus verbreiteter war und mit Stolz getragen wurde. Im 19. Jahrhundert erlebte der Name verschiedene Schreibvarianten, was auf die kulturelle und sprachliche Vielfalt jener Zeit hinweist. Ein weiteres Beispiel, das die Tradition der Crescentia eindrucksvoll fortsetzt, ist Kreszentia Ohnemus (1828 bis 1858). Im Juni 1863 vereinte sie sich in der Ehe mit dem Landwirt und Waldhüter Josef Göppert (1827 bis 1893). Leider blieb ihr die Weitergabe des Namens verwehrt, da sie und ihr Mann lediglich männliche Nachkommen hatten. Und auch deren Söhne konnten die familiäre Tradition nicht fortsetzen, und so ging der schöne Name in ihrer Linie verloren. Auch Wagner Wilhelm Albert Göppert (geboren 1841 / Sterbedatum unbekannt) und seine Frau Kreszentia – deren Lebensdaten leider ungewiss sind – hatten nur eine Tochter, die jedoch den Namen Elisabetha erhielt. Diese Entscheidungen verdeutlichen, wie eng mit dem Namen Crescentia das Thema der Fortpflanzung und des Erbes verknüpft ist.
Eine besonders tragische Wendung nahm das Schicksal der Creszentia Schüssele (1832 bis 1841), die am 9. Juni mit ihrer Familie nach Nordamerika auswanderte. Nur zwei Monate später, am 10. August des gleichen Jahres, kam es zu einem verheerenden Schiffsunglück auf dem Eriesee, bei dem sie ihr Leben verlor. Dieses Unglück betraf gleich drei Dörlinbacher Auswanderer-Familien und hinterlässt uns mit einem Gefühl der Trauer und des Mitgefühls. Für weitere Informationen über solch bewegende Schicksale, verweisen wir auf den Blog-Beitrag „Schicksale fern der alten Heimat“ vom 10. August 2021. Der Name Crescentia wird also nicht nur durch seine klangvolle Schönheit und tiefgründige Bedeutung geprägt, sondern auch durch die Geschichten und Schicksale, die sich mit ihm verbinden. Diese Aneinanderreihung von Lebensgeschichten bietet uns einen faszinierenden Einblick in die Wechselwirkungen von Tradition, Identität und dem Streben nach Zugehörigkeit.

Rufina, Protas und Pankratius

Im Laufe der Jahrhunderte hat die Namensgebung eine faszinierende Entwicklung durchgemacht. Besonders im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert waren es oft die außergewöhnlichen Vornamen, die aus der Vielzahl von Maria, Anna, Franziska und Katharina herausstachen. Einer dieser seltenen Namen ist Rufina Griesbaum, geboren im Jahre 1883. Ihre Geschichte ist nicht nur die eines Namens, sondern auch die einer Zeit, in der Individualität noch einen besonderen Stellenwert hatte. Rufina heiratete im Jahr 1908 einen Bürger aus Schweighausen, dessen Vorname ebenfalls ungewöhnlich war: Protas. Während Rufina sich durch ihre Seltenheit hervorhob, ist der Nachname Protas weitaus häufiger anzutreffen. Dieser interessante Kontrast zwischen den Namen spiegelt nicht nur die Vielfalt der Namensgebungen wider, sondern auch die sozialen Strukturen und kulturellen Einflüsse der damaligen Zeit. Der Name Rufina hat seinen Ursprung in der lateinischen Sprache und bedeutet „die Rothaarige“. Dies wirft die verlockende Frage auf, ob die aus Dörlinbach stammende Zigarrenmacherin tatsächlich rote Haare hatte. Man kann sich vorstellen, wie sie, mit einem solch markanten Namen, zu ihrer Zeit auffiel – doch es sind nicht allein die Namen, die uns die Geschichten vergangener Generationen näherbringen. Ein weiterer seltener, aber bemerkenswerter Name aus dieser Epoche ist Pankratius. Pankratius Deibel, geboren 1925, war ein Soldat, der am 5. Oktober 1943 bei Mesamasheik in Russland fiel. Sein Name, abgeleitet aus dem Altgriechischen, bedeutet „allmächtig“ oder „allgegenwärtig“. Dies verleiht ihm eine fast ergreifende Präsenz, vor allem in Anbetracht des Schicksals, das ihn ereilte. Pankratius ist zudem der Name eines Heiligen – des heiligen Pankratius, der etwa um 290 bis 304 nach Christus lebte. Als römischer Märtyrer der frühen christlichen Kirche zählt er zu den fünf Eisheiligen, deren Namen geläufig in der deutschen Kultur verankert sind. Dieser historische Kontext lässt den Namen Pankratius noch bedeutungsvoller erscheinen, wenn man ihn mit dem Leben von Pankratius Deibel verknüpft.

Zeugen ihrer Zeit

Die beispielhaft erwähnten Namen sind mehr als bloße Bezeichnungen – sie sind Zeugen ihrer Zeit und ihrer Geschichten. Sie spiegeln die gesellschaftlichen Normen, kulturellen Strömungen und individuellen Lebenswege wider. Wenn wir auf solche seltenen Vornamen stoßen, öffnen sich Türen zu den Erinnerungen und Traditionen unserer Vorfahren, die oft mehr erzählen als wir zunächst annehmen würden.

Veröffentlicht am 15. März 2023 / red

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