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Derlebacher G’schichtle Folge 20

Lesedauer: 3 Minuten

Abenteuerliche Schlittenfahren

Noch heute wird hin und wieder einmal in Dörlinbach über eine Begebenheit gelacht, die sich im Jahre 1912 im Gasthaus „Zum Engel“ zugetragen haben soll. Der wichtigste Protagonist in dieser Geschichte ist ein Sohn des damaligen Engelwirts Wilhelm Grimm (1847 bis 1926), der später nach Amerika auswanderte. Ob frech oder genial – Sohn Anton Grimm düpierte auf eine ungewöhnliche Art und Weise Dörlinbachs Honoratioren.

Derlebacher Gschichtle Folge 20
In den 1960er- und 1970er-Jahren war Schlittenfahren im Ort noch eine echte Wonne. Sobald im Winter der Schnee fiel, hieß es nachmittags: Schlitten raus und ab auf den Dobel, zur Brandhalde, in den Prinschbach oder auf den Kappelberg. Es gab verschiedene Bahnen im Ort. Die spektakulärste, abenteuerlichste und zugleich einer der längsten führte von der Gedächtniskapelle bis runter ins Dorf.
Derlebacher Gschichtle Folge 20
Außenwandgemälde in der Brandhalde (Anwesen Kaspar). Hans Buschs Erstlingswerk an Dörlinbachs Hauswänden, das er im August 1975 fertigstellte.
Derlebacher Gschichtle Folge 20
Mit zwei, drei oder oft auch bis zu acht oder neun Schlitten ging es zu Fuß hoch bis zum Kappelchen. Dort wurden die Schlitten zusammengebunden und ab ging es den Kappelberg hinunter, beim Hof um eine 90-Grad-Kurve, den Hofweg hinunter, vorbei an „s' Moritze Hus“, am Metzger und am „Wehrle Beck“ bis hin zur Landstraße – und manchmal sogar über die Hauptstraße hinweg bis zur „Engel“-Brücke. Der Lenker ganz vorne am ersten Schlitten war immer die wichtigste Person. Er stoppte quasi durch einen schnellen Schlenker den Schlitten-Zug. Oft wurde das Riesengespann dadurch auch umgeworfen und alle lagen im Schnee. Verletzungen zog sich dabei kaum jemand zu, es ging meistens gut und alle hatten mächtig Spaß dabei.
Mit Schlitten unterm Henschel durch
Dass natürlich bei solch abenteuerlichen Abfahrten heikle und spektakuläre Situationen nicht ausblieben, versteht sich von selbst. Hin und wieder kam es vor, dass ein Schlitten-Gespann beim Hof aus der Kurve flog oder darüber hinaus schoss, den steilen Abhang hinunter raste und erst am oder im kalten Prinschbach zum Stehen kam. Den ganzen Nachmittag – oft bis in den Abend hinein – wurde am Kappelberg Schlitten gefahren. Einige wagten sogar noch zur mitternächtlichen Stunde eine wilde Fahrt auf ihrem Schlitten. Und wenn mal ein Malheur passierte, lief es immer glimpflich ab, abgesehen von der einen oder anderen Blessur. Doch einmal hätte die lustige Schlittenfahrt richtig tragisch ausfallen können. Ein Gespann von acht Schlitten kam den Hofweg herunter, als vom Oberdorf Fuhrunternehmer Wilhelm Rösch mit seinem Henschel-Lastwagen in Richtung Dorf unterwegs war. An der Weggabelung unterhalb „s' Mortize Hus“ trafen beide nahezu zeitgleich ein. Rösch, der gerade mit seinem Lkw in den Hofweg einfuhr, blieb geistesgegenwärtig quer auf der Fahrbahn stehen. Somit konnten die Jungs, die alle auf ihren Schlitten lagen, die Köpfe einziehen und unter dem Lastwagen zwischen den beiden Radachsen hindurch fahren. Der Schrecken war natürlich groß, aber niemand kam zu Schaden. Die Jungs mussten hinterher allerdings noch den nicht ausbleibenden Ärger mit ihren Eltern über sich ergehen lassen. Für Schlitten-Gespanne, die es bis zur Metzgerei „unfallfrei“ geschafft hatten, stellte sich meist nur noch eine Herausforderung: Reicht der Schwung um unten beim „Löwen“ noch die Hauptstraße überqueren zu können. Selbst wenn es heutzutage noch genügend Schnee gäbe, wären solche Schlittenfahrten alleine wegen der Verkehrssicherheit und der Verkehrsdichte nicht mehr möglich. Die Schlittenfahrten entlang der Wege waren ohnehin abrupt zu Ende, als im Ort das Straßennetz ausgebaut wurde und die Wege nach und nach allesamt asphaltiert wurden. Ganz zum Schluss noch eine Anmerkung: Wie dem G'schichtle zu entnehmen ist, wurden seinerzeit die Schlitten hintereinander zu einer langen Schlange zusammengebunden. Aber es gab noch eine andere tollkühne Variante unter den Jungs im Dorf. Zwei Schlitten wurden nebeneinander zusammengebunden. Der eine saß auf seinem Schlitten „normal“ drauf, der andere fungierte auf dem zweiten Schlitten wie der Co-Pilot eines Seitenwagengespanns. So konnten vor allem kurvenreiche Strecken meist mit Bravour bewältigt werden. Ab und zu jedoch ging unterwegs der Co-Pilot bei seinen riskanten Manövern schlichtweg „verloren“.

Veröffentlicht am 12. April 2022 / red

Visuelle Impressionen zur Geschichte:

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