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Derlebacher G’schichtle Folge 49

Lesedauer: 3 Minuten

Das bleiche, schwächliche Mädchen mit spitzer Nase

In Dörlinbach, wo die Zeit vor allem im 19. Jahrhundert viele spannende Geschichten erzählt, nimmt Katharina Singler (Jahrgang 1835) ihren Platz in der Reihe der mutigen und abenteuerlustigen Aussiedler ein. Nach der bewegenden Erzählung von Wendelin Müllerleile (Jahrgang 1839) und seiner Familie in Folge 48 geht es nun weiter mit der Erkundung der Träume und Sehnsüchte, die die Menschen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bewegten.
Derlebacher Gschichtle Folge 49
Katharina war das jüngste von vier Kindern der Genofeva Singler, einer Frau voller Lebensmut und Entschlossenheit, die zwischen 1799 und 1871 einen bedeutenden Teil ihrer überaus herausfordernden Zeit durchlebte. Von Katharinas Vater, einem Unbekannten aus Wittelbach, wissen wir so gut wie nichts. So bleibt nur der Blick auf ihre Geschwister, Luitgard und Josef, über deren Schicksale die Geschichte uns leider im Unklaren lässt. Einzig Bruder Johann, ein Wagner, löste sich mit harten, aber mutigen Schritten vom gewohnten Leben und wanderte 1847 in die weite Ferne, nach Amerika.
Derlebacher Gschichtle Folge 49
Außenwandgemälde in der Brandhalde (Anwesen Kaspar). Hans Buschs Erstlingswerk an Dörlinbachs Hauswänden, das er im August 1975 fertigstellte.
Derlebacher Gschichtle Folge 49
Doch die Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer war auch in dem bleichen, schwächlichen Mädchen mit der spitzen Nase lebendig. Katharina träumte von der „neuen Welt“, einem Ort voller Chancen und Möglichkeiten. Mit nur 17 Jahren war ihr Durst nach Freiheit jedoch so stark, dass sie beschloss, sich heimlich auf den Weg zu machen. Der Entschluss, alles hinter sich zu lassen, war gefasst – am 6. Dezember 1852 brach sie auf, ohne die Erlaubnis ihrer Mutter, ihres uns unbekannten Vaters oder der Obrigkeit einzuholen.
Das Fahndungs-Signalement
Das dörfliche Leben hatte seine eigenen Regeln, und die Behörden ließen den unerlaubten Ausbruch nicht unbeantwortet. Ein „Fahndungs-Signalement“ wurde erstellt, das genau auf Katharina zutraf – eine eindringliche Beschreibung, die selbst heute noch berührt: „Alter: 17; Größe: 4'6''; Statur: schwächlich; Gesicht: länglich; Farbe: bleich; Haare: blond; Augen: grau; Nase: spitz; Mund: mittlerer; Kinn: spitz; Zähne: gut.“ Sogar die kleinsten Details wurden festgehalten, um sicherzustellen, dass sie jederzeit erkannt werden konnte. Am Ende des Dokuments stand der vernichtende Satz: „Für verlustig erklärt.“
Mehr als nur der Wunsch nach einem besseren Leben
Ob Katharina jemals in Amerika ankam, ob sie vielleicht ein neues Leben begann und ihren Bruder Johann wiedertraf, bleibt ein Geheimnis, das die Zeit für sich behielt. Ihr Mut und ihr Drang nach Freiheit sind jedoch bis heute spürbar und erinnern uns daran, dass hinter jeder Geschichte von Auswanderung und Abenteuer eine sehr persönliche Motivation steckt, die oft viel mehr ist als nur der Wunsch nach einem besseren Leben. Dieses G'schichtle zeichnet in aller Kürze die Reise eines Mädchens ab, das trotz aller Widrigkeiten und der drückenden Autorität des Heimatdorfes seinen Träumen nachjagte. Mögen wir alle ein wenig von Katharinas Mut und Entschlossenheit in uns tragen, wenn wir unseren eigenen Weg ins Ungewisse wagen!

Veröffentlicht am 6. Dezember 2024 / red

Visuelle Impressionen zur Geschichte:

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