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Flucht vom Ried ins Schuttertal

Lesedauer: 3 Minuten

Eine Erinnerung aus dem letzten Kriegswinter

Ein Gemälde vom Schulzenhansenhof aus dem Jahre 1945 und eine Fotografie des ältesten Dörlinbacher Hauses, „s' Motitze Hus“, aus dem Jahre 1969 erzählen von bewegenden Erlebnissen in den Wirren des Zweiten Weltkriegs. Diese Geschichte findet ihren Ursprung in der Rheinebene, genauer gesagt in Nonnenweier. Eine gebürtige Dortmunderin, die heute in Dörlinbach lebt, erinnert sich an die Flucht ihrer Familie – insbesondere an ihre Mutter Klara Wilhelmine Lodyga, geborene Söthe (1916 bis 1989), ihre Großmutter und ihren Bruder Fredi Erwin (Jahrgang 1940).
Das Schwarzwaldhaus „s' Motitze Hus“ hat es den Lodygas angetan. Das 1732 erbaute Haus bildete immer wieder Kulisse für Familienfotos.

Die Flucht begann nach einer Evakuierung, bei der die Familie vorübergehend bei der Familie Siefert in Nonnenweier unterkam. Doch das Schrecken des Krieges war noch nicht vorbei. Im Winter 1944, als die Franzosen über den Rhein vorrückten, brach erneut Furcht unter den Menschen im Ried aus. Die Lodygas und samt Oma Söthe hatten keine Wahl – auch sie mussten fliehen. Die Riedbewohner wurden auf verschiedene Bauernhöfe im Schuttertal verteilt – für die Lodygas führte der Weg nach Dörlinbach auf den Schulzenhansenhof. Infos zum Hof könnt ihr unter dem Blog-Beitrag „Der Schulzenhansenhof“ vom 10. Juni 2023 nachlesen.

Die Lodygas verbrachten eine behütete Zeit auf dem Schulzenhansenhof in Dörlinbach nach ihrer Flucht von Nonnenweier ins Schuttertal.
Außenwandgemälde in der Brandhalde (Anwesen Kaspar). Hans Buschs Erstlingswerk an Dörlinbachs Hauswänden, das er im August 1975 fertigstellte.
Die Lodygas verbrachten eine behütete Zeit auf dem Schulzenhansenhof in Dörlinbach nach ihrer Flucht von Nonnenweier ins Schuttertal.
Nachts, im Schutz der Dunkelheit, kamen Klara, Oma Söthe und der kleine Fredi zur Familie Hupfer im Hofweg (heute „nur“ Hof). Klärchen Johanna Elisabeth, die erst 1948 in Dortmund das Licht der Welt erblickte, erzählt heute von den Erinnerungen, die ihr die Großmutter überlieferte. Diese war damals schon krank, doch ihre Erzählungen lebendig. Die älteste Tochter der Hupfers, Maria (1908 bis 2007), ließ sogar ihr Bett für Klara und Fredi frei, was bei der Familie Lodyga und Oma Söthe große Dankbarkeit hinterließ. Bei Matthias Hupfer (1880 bis 1970) und seiner Frau Ida, geborene Müllerleile (1883 bis 1964), erlebten sie eine Zeit voller Fürsorge und Herzlichkeit. Klara half Ida im Haushalt und begleitete Matthias in den Wald, um „Wellili“ zu machen, kleine Bündel aus Reisig, das beim Holzfällen übrig blieb. „Der Wald soll hinterher wie gefegt gewesen sein“, erinnert sich Klärchens Oma noch viele Jahre später.
Weihnachten auf dem Schulzenhansenhof
Als Weihnachten nahte, half Klara beim Backen und sorgte dafür, dass die Hupfer-Familie ein warmes, heimeliges Fest feiern konnte. Der jüngste Sohn Hermann (1922 bis 2015) kam während seines Heimaturlaubs von den Gebirgsjägern zu Besuch. Doch das Weihnachtsfest war bittersüß: Der zweitjüngste Sohn Matthias (1918 bis 1944) war kurz zuvor gefallen – verstorben nach schwerer Verwundung im elsässischen Metz. Klärchen bemerkt treffend: „Meine Mutter verstand es gut, ein wenig Freude zurückzugeben, die sie zuvor empfangen hatte.“ Im Frühjahr 1945, nach fünf Monaten, durften alle zurück in die Dörfer der Rheinebene, denn die Gefahr durch die Franzosen war gebannt.
Verbundenheit zu Dörlinbach und den Hupfers
Die Freundschaft zur Familie Hupfer blühte dennoch weiter und die Lodykas besuchten immer wieder ihre vorübergehenden Gastgeber in Dörlinbach. Bei diesen Besuchen kamen sie häufig an „s' Motitze Hus“ vorbei, dem ältesten noch bestehenden Haus der Gemeinde. Für die Dortmunder war dieses typische Schwarzwaldhaus ein beliebter Ort für Erinnerungsfotos – so auch im August 1969. Die Verbundenheit zum Schuttertal führte sogar zu viel mehr: Im September 1972 heiratete Tochter Klärchen Johanna Elisabeth Lodyka (Jahrgang 1948) Hermann Josef Grimm (Jahrgang 1950), einen Nachbarsohn der Hupfers. Übrigens: Klärchens Vater Franz Lodyga (1912 bis 1989) sowie Mutter Klara und Bruder Fredi, inzwischen alle verstorben, fanden in Dörlinbach ihre letzte Ruhestätte. So lebendig und bedeutungsvoll die Erinnerungen dieser Flucht sind, zeugen sie auch von der Stärke der menschlichen Beziehungen und der Unerschütterlichkeit des Lebens – selbst in Zeiten größter Widrigkeiten.

Veröffentlicht am 28. Juli 2022 / red / kg

Visuelle Impressionen zur Geschichte:

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