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Der letzte Gang

Lesedauer: 5 Minuten

Ein Weg mit Geschichte

Wenn wir über den „letzten Gang“ sprechen, denken wir nicht an die melancholischen Klänge des gleichnamigen Trauermarsches von Michael Pobisch oder an die zahlreichen Bücher und Filme, die diesen Titel tragen. Auch der Blick in die Vergangenheit, als Beerdigungen in Dörlinbach ganz anders vonstatten gingen als heute, bleibt uns hier erspart. Vielmehr wollen wir uns auf die physische Reise konzentrieren, die die Verstorbenen und ihre Angehörigen einst antreten mussten – einen langen Weg zur letzten Ruhestätte.

Nur einige wenige gefallene Soldaten konnten zu Hause in Dörlinbach bestattet werden. Zu ihnen gehörte Bernhard Müllerleile, der am 5. Juni 1940 gefallen ist.
Über Jahrhunderte hinweg war die Entfernung zum Friedhof für die Dörlinbacher Bürgerinnen und Bürger eine große Herausforderung. Bis ins 19. Jahrhundert hinein mussten die Gläubigen ihre Toten bis weit über den Berg nach Ettenheimmünster tragen, um dort einen christlichen Abschied zu erhalten. Dieser beschwerliche Gang wurde nur durch einen Wechsel in der Gemeindeverwaltung abgemildert. Als die Dörlinbacher 1875 endlich begannen, über einen eigenen Friedhof nachzudenken, war die Hoffnung groß, dass die letzte Reise kürzer und weniger beschwerlich werden würde.
Grabstätte des ersten Einwanderers aus Dörlinbach in Yankeetown in den USA: Schmied Felix Haberstroh (1815 bis 1900).
Außenwandgemälde in der Brandhalde (Anwesen Kaspar). Hans Buschs Erstlingswerk an Dörlinbachs Hauswänden, das er im August 1975 fertigstellte.
Juni 2023: Den gefallen und vermissten Soldaten wird heute bei der Einsegnungshalle mit zwei Gedenksteinen gedacht.
Ein Protokoll damals üblichen Ortsbereisung vom 21. Mai desselben Jahres dokumentiert diese Überlegungen des Gemeinderats und der Gemeindeversammlung: Die Dörlinbacher klagten über die Unannehmlichkeiten und Kosten der langen Wege nach Schweighausen. Ein passender Platz für einen neuen Friedhof war schnell gefunden. Dabei handelte es sich um ein Gemeindefeld oberhalb des Schmiedemeisters und Gemeinderats Philipp Rombach (1829 bis 1888) auf der rechten Seite an der Straße nach Lahr. Doch es sollte noch fast drei Jahrzehnte dauern, bis dieser Plan Realität wurde.
Der erste Friedhof in Dörlinbach

Es sollte noch knapp drei Jahrzehnte dauern, bis der Wunsch nach einem eigenen Friedhof in Erfüllung gehen konnte. Die Eröffnung des heutigen Friedhofs im Neudorf im Jahre 1903 bedeutete für die Dorfgemeinschaft einen bedeutsamen Einschnitt. Maria Anna Fischer, geborene Schüssele (1859 bis 1903), wurde als erste Dörlinbacherin auf dem neuen Friedhof beigesetzt. Trotz der kürzeren Entfernung blieb der letzte Gang für viele Familien eine emotionale und oft auch lange Reise. Zu Hause aufgebahrt, wurde der Sarg im großen Trauerzug zum neuen Friedhof geleitet, wobei selbst die Bewohner der verstreut liegenden Höfen noch lange Wege zurückzulegen hatten. Doch die Mühe der vergangenen Jahrhunderte, die mit dem Gang nach Ettenheimmünster verbunden war, fiel nun weg. Lesenswert dazu ist sicherlich auch der Blog-Beitrag „Beerdigungen in früheren Zeiten“ vom 14. März 2021.

Der lange Weg zur Begräbnisstätte
Die Erinnerungen an diese beschwerlichen Zeiten sind heute teilweise verblasst, doch einige Zeugen der Vergangenheit existieren noch: Auf dem Tannenböschle, einem Wanderweg in Dörlinbach, erinnert der Totenruhstein an die strapaziösen Transporte der Verstorbenen. Vor Jahrhunderten legten die Trauernden hier eine Pause ein, bevor der Abstieg ins Münstertal begann. Es ist ein steinernes Zeugnis der schweren Zeiten, als die Dörlinbacherinnen und Dörlinbacher trotz aller Mühen immer auf der Suche nach einem würdigen Abschied waren. Pfarrer Bernadus Stoeber (Jahrgang 1740), der die Pfarrei Schweighausen von 1775 bis 1797 die Pfarrei Schweighausen leitete, hat in seinen Aufzeichnungen die Strapazen beschrieben, die mit dem Transport der Toten seinerzeit verbunden waren. Denn nachdem Dörlinbach im Jahre 1656 von der Pfarrei Münstertal getrennt worden war, wurden die Toten nach Schweighausen gebracht, damit sie dort christlich bestattet werden konnten. Bei seinem theologischen Dienst erlebte er hautnah die Herausforderungen, vor denen die Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner Dörlinbachs standen. Denn auch der Weg ins Nachbardorf Schweighausen war steinig und beschwerlich. Doch das Streben nach einer würdevollen Bestattung trieb die Menschen immer weiter an. In den Jahren 1978 und 1979, als die Gesamtgemeinde Schuttertal noch in ihren Kinderschuhen steckte, erblühte die Idee, eine Leichen- und Einsegnungshalle beim Friedhof in Dörlinbach zu errichten. Diese Halle wurde nicht einfach nur ein Bauwerk; sie symbolisiert den „letzten Gang“ für die Verstorbenen, welcher seither von der Einsegnungshalle bis zur letzten Ruhestätte gleichsam kurz wie bedeutungsvoll ist. Hier, im Schatten der alten Bäume, finden die Menschen einen Platz, um ihre Liebsten zu verabschieden.

Erinnerungen an alte Zeiten

Doch dieser Ort trägt auch die schwere Last der Geschichte. Während der beiden Weltkriege verloren viele junge Männer aus Dörlinbach ihr Leben fern der Heimat. Die Vorstellung, dass sie nicht in der Erde ihrer Kindheit ruhen können, schmerzt. Nur wenige, wie der mutige Bernhard Müllerleile (1916 bis 1940) von s‘ Kasperseppe im Durenbach, hatten das Glück, am 5. Juni 1940 inmitten der vertrauten Umgebung bestattet zu werden. Bernhard erlag seinen Verletzungen, die er sich im Gefecht zugezogen hatte, im Lazarett von Fulda. Sein Weg führte ihn zurück in die Heimat, wo er seine letzte Ruhe fand. Seine Beisetzung war nicht nur ein Akt der Trauer, sondern auch ein Zeichen des Gedenkens an all jene, deren Leben von den Wirren des Krieges so brutal beendet wurde.
Heute wird allen Gefallenen und Vermissten, unabhängig davon, ob sie in der Heimat oder weit entfernt ihre letzte Ruhestätte fanden, mit zwei Gedenksteinen vor der Einsegnungshalle gedacht. Diese Steine tragen die Namen und Geschichten jener, die in den Konflikten zwischen Hoffnung und Verlust gefangen waren. Bis zum Jahr 2009 fand man die Gedenkstätte für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs mitten im Dorf, jedoch wurde das dortige Krieger-Ehrenmal in einer Nacht- und Nebelaktion entfernt – eine Entscheidung, die die Dorfgemeinschaft tief traf, wie bereits in unserem Blog-Beitrag „Krieger-Ehrenmal“ vom 10. März 2021 beleuchtet. Zusätzlich wird den Opfern des Zweiten Weltkrieges in der Gedächtniskapelle auf dem Kappelberg gedacht. Hier steht eine Gedenktafel, die das Vermächtnis derer ehrt, die in den stürmischen Zeiten des Krieges vermisst wurden. Neben der Kapelle existierte auch ein symbolisches Soldatengrab, das an diejenigen erinnerte, deren letzter Gang in Utschno bei Staraja-Russa endete. Diese Gedenkstätte wurde allerdings 2015 im Zuge eines Protestes umgestaltet, als eine Diskussion über die Gedenktafeln für ehemalige Wehrmachtsoffiziere aufkam. Weitere Informationen dazu findet man in den Blog-Beiträgen „Gedächtniskapelle auf dem Kappelberg“ vom 13. März 2021, „General-Verdacht im Schuttertal“ vom 25. August 2021 und „5. Infanterie und Jäger-Division“ vom 4. Mai 2021.

Begraben fern der alten Heimat

Doch die Geschichte von Dörlinbach endet nicht an den Grenzen Europas. In den Wellen der Vergangenheit finden wir auch die Spuren jener, die im 19. Jahrhundert nach Amerika auswanderten. Viele von ihnen ließen sich in Yankeetown im US-Bundesstaat Indiana nieder, einem Ort, der heute als Red Brush bekannt ist. Hier traten diese Dörlinbacherinnen und Dörlinbacher ihren letzten Gang fern der alten Heimat an und fanden ihre Ruhestätte auf dem Friedhof St. Rupert.

Tradition trifft Veränderung

Nachbetrachtung: Der letzte Gang, der einst mit enormen Mühen verbunden war, hat sich über die Jahre gewandelt. Der neue Friedhof hat den Dörlinbachern eine feste Stätte gegeben, um ihren Angehörigen die letzte Ehre zu erweisen. Dennoch bleibt der Gedanke an die einstigen Strapazen präsent, und die Erinnerungen an die schweren Wege zeugen von der tiefen Verbundenheit der Gemeinschaft – sowohl zu ihren Verstorbenen als auch zu den Traditionen ihrer Ahnen. Und die Gräber, sowohl in Dörlinbach als auch in Red Brush, erzählen von Abschieden, Kämpfen und einer ungebrochenen Verbundenheit mit der Heimat. Sie sind Erinnerungen an Menschen, die, ob in der Heimat oder fernab, die Träume, Ängste und Hoffnungen eines Lebens hinterlassen haben – Erinnerungen, die uns auch heute noch berühren und verbinden.

Veröffentlicht am 5. Juni 2023 / red

Visuelle Impressionen zur Geschichte:

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